Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Untätigkeitsklage
Orientierungssatz
1. Eine Untätigkeitsklage setzt zu ihrer Zulässigkeit nach § 88 Abs. 1 S. 1 SGG voraus, dass der Kläger einen Antrag auf Erteilung eines Verwaltungsakts gestellt hat, den die Behörde bisher sachlich nicht beschieden hat. Die Sperrfrist von sechs Monaten muss im Zeitpunkt der Erhebung der Untätigkeitsklage verstrichen sein.
2. Eine Obliegenheit, vor Erhebung der Untätigkeitsklage eine Sachstandsanfrage an die Behörde zu richten, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Allenfalls kann eine solche unterbliebene Anfrage bei der nach Erledigung der Untätigkeitsklage zu treffenden Kostengrundentscheidung berücksichtigt werden.
3. Eine Verwirkung des Klagerechts kommt dann in Betracht, wenn der Betroffene das Verwaltungsverfahren jahrelang nicht mehr betreibt. Hierzu sind besondere Umstände erforderlich, welche die späte Klageerhebung als widersprüchlich erscheinen lassen. Fehlt es insoweit an einem über den bloßen Zeitablauf hinaus gehenden Verhalten des Klägers, aufgrund dessen die Behörde darauf vertrauen durfte, dass eine Untätigkeitsklage unterbleibt, so kann die Behörde sich nicht auf Verwirkung berufen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.11.2012 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Düsseldorf ab dem 05.09.2012 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. I aus L beigeordnet.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die auf Bescheidung des am 11.08.2008 gestellten Antrags auf Insolvenzgeld gerichtete Untätigkeitsklage zu Unrecht abgelehnt.
1. Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen vor.
a) Entgegen der Auffassung des SG bietet die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die von der Klägerin am 16.12.2012 erhobene Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG war im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs, die hier nach Darlegung aller für die Bedürftigkeitsprüfung maßgeblichen Umstände am 05.09.2012 mit der Klarstellung, dass die Klägerin ledig ist, eingetreten ist, zulässig und begründet.
aa) Warum die Untätigkeitsklage im Zeitpunkt ihrer Erhebung unzulässig gewesen sein soll, wie das SG gemeint hat, erschließt sich nicht, zumal das SG nicht dargelegt hat, an welcher Zulässigkeitsvoraussetzung es fehlen soll. Die in § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG selbst genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen (vgl. hierzu auch Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 88 Rn. 3 ff.) sind offensichtlich erfüllt. Die Klägerin hat einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes (Gewährung von Insolvenzgeld) gestellt, den die Beklagte bislang nicht sachlich beschieden hat. Die Sperrfrist von 6 Monaten nach Antragstellung mit anwaltlichem Schriftsatz vom 11.08.2088 war im Zeitpunkt der Erhebung der Untätigkeitsklage längst verstrichen.
Eine Pflicht oder Obliegenheit, vor der Erhebung der Untätigkeitsklage eine Sachstandsanfrage an die Behörde zu richten, sieht das Gesetz nicht vor, schon gar nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung. Dass eine Untätigkeitsklage mangels vorheriger Sachstandsanfrage unzulässig sein kann, wird, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Literatur auch nicht vertreten. Umstritten ist lediglich, ob und unter welchen Voraussetzungen eine unterbliebene Sachstandanfrage bei der nach § 193 Abs. 1 SGG nach Erledigung der Untätigkeitsklage zu treffenden Kostengrundentscheidung berücksichtigt werden und eine Kostentragungspflicht der Behörde bei an sich zulässiger und begründeter Untätigkeitsklage unter Veranlassungsgesichtspunkten ausschließen oder einschränken kann (vgl. hierzu im Überblick LSG Baden- Württemberg, Beschl. v. 14.09.2005 - L 10 LW 4563/04 AK-B -, juris Rn. 29 ff. m.w.N.; siehe auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 06.03.2006 - L 30 B 168/04 AL -, juris Rn. 9 ff.; Hessisches LSG, Beschl. v. 15.02.2008 - L 7 B 184/07 AS -, juris Rn. 18 ff.). Hierüber ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.
Für die Erhebung der Untätigkeitsklage hat auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt. Dies wäre denkbar gewesen, wenn eine vorherige Sachstandsanfrage dazu geführt hätte, dass der Antrag der Klägerin beschieden worden wäre. Dann hätte der Klägerin möglicherweise ein einfacherer Weg ohne Erhebung der Klage zur Verfügung gestanden, um die Besc...