Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für einen Bürger der neuen EU-Staaten durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Voraussetzung für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen ist u. a. , dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat.

2. Im Bereich der Grundsicherung nach dem SGB 2 hat ein Ausländer nur dann seinen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB 2 in Deutschland, wenn er über einen Aufenthaltstitel verfügt, der den persönlichen Aufenthalt zulässt. Dabei wird ein prognostisch auf Dauer gesicherter Aufenthalt gefordert, der die Beseitigung von Bedürftigkeit durch die Aufnahme einer Tätigkeit mit existenzsicherndem Ertrag ungefährdet erscheinen lässt.

3. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein arbeitsuchender EU-Bürger so lange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht.

4. Nicht erwerbstätige Unionsbürger genießen nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen.

5. Ein bulgarischer Bürger bedarf als Staatsangehöriger des neuen EU-Mitgliedsstaates Bulgarien zur Begründung eines rechtmäßigen Aufenthalts einer Aufenthaltserlaubnis-EU/Arbeitsberechtigung-EU nach § 284 SGB 3, die nur in Abhängigkeit vom Nichtvorhandensein bevorrechtigter Arbeitnehmer erteilt werden kann.

6. Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sind nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 vom Leistungsbezug ausgenommen.

7. Die Vereinbarkeit des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 mit dem Gemeinschaftsrecht der EU ist umstritten. Sowohl der EuGH als auch das BSG haben die Frage bisher offengelassen. Zumindest im einstweiligen Rechtsschutz sind deshalb bei Vorliegen des erforderlichen Anordnungsgrundes vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 betroffenen freizügigkeitsberechtigten Bürgern der neuen EU-Staaten nach Ablauf der für die jeweiligen Staaten geltenden einschränkenden Übergangsregelungen Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 2 zu gewähren.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.11.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin U, L, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab dem 24.09.2011 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die am 00.00.1983 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Am 25.11.2008 reiste sie zusammen mit ihrer Mutter und ihrem am 00.00.1989 geborenen Bruder in die Bundesrepublik Deutschland ein. Bei der Vorsprache beim Ausländeramt der Stadt L gab sie im Juli 2011 keinen Grund der Einreise an. Ihr Vater war zuvor im August 2008 in die Bundesrepublik eingereist. Am 24.08.2011 wurde dem Vater der Antragstellerin eine unbefristete Arbeitsgenehmigung-EU erteilt.

Am 27.07.2011 erteilte die Stadt L der Antragstellerin eine Bescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU. In der Freizügigkeitsbescheinigung ist ausgeführt, dass die Antragstellerin zur Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsberechtigung - EU benötigt. Bei der zentralen Auslands- und Fachvermittlung beantragte die Antragstellerin keine Erteilung der Arbeitsgenehmigung - EU.

Am 19.09.2011 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.

Am 23.09.2011 hat die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.

Sie hat vorgetragen, dass ein Anordnungsgrund vorliege, sie könne kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten und sei nicht krankenversichert. Bisher hätten ihre Eltern und ihr Bruder durch Pfandgeld von Flaschen, die sie gesammelt hätten, von Sachen, die sie auf dem Sperrmüll gefunden und auf dem Trödelmarkt verkauft hätten, sowie von Unterstützung von Freunden gelebt. Es bestünden Mietschulden, so dass die Wohnung fristlos gekündigt worden sei. Sie sei psychisch krank und werde ambulant psychiatrisch betreut. Jedoch sei zu befürchten, dass sie einer stationären Behandlung bedürfe. Mit Schreiben vom 29.08.2011 habe der Vermieter des Zimmers den Vater der Antragstellerin, Herrn J aufgefordert, den säumigen Mietzins von 2000,00 Euro bis zum 31.08.2011 zu entrichten und vorsorglich das Mietverhältnis fristgerecht gekündigt. Der Vermieter gab an, dass die letzte Mietzahlung vom 09.05.2011 datiere.

Der Antragsgegner hat sich auf den Anspruchsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II berufen. Die Einreise der Antragstellerin sei 2008 allein aus Gründen der Arbeitssuc...

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