Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Kosten der Unterkunft durch einstweiligen Rechtschutz im Wege der Folgenabwägung

 

Orientierungssatz

1. Zur Gewährung von Leistungen der Grundsicherung ist der Nachweis von Hilfebedürftigkeit des Antragstellers i. S. von § 9 SGB 2 erforderlich.

2. Ist im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nicht zu klären, ob der Antragsteller in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft i. S. von § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB 2 mit seiner Partnerin lebt und ob aus diesem Grund die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers entfällt, so ist im Wege der Folgenabwägung durch das Gericht zu entscheiden.

3. Hierbei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend zu berücksichtigen (BVerfG Beschluss vom 12. 5. 2005, 1 BvR 569/05). Die Folgenabwägung bewirkt die vorläufig anzunehmende Hilfebedürftigkeit des Antragstellers. Zur vorläufigen Bewilligung von Unterkunftskosten ist die Erhebung einer Räumungsklage durch den Vermieter nicht erforderlich.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Tenor des Beschlusses des Sozialgerichts Dortmund vom 22.05.2019 wie folgt neu gefasst: "Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 424 EUR (Regelbedarfsstufe 1) vom 08.05.2019 bis zum 31.10.2019 zu zahlen." Der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 22.05.2019 wird geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung iHv 202,50 monatlich vom 08.05.2019 bis zum 31.10.2019 zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung weiterer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die 1962 geborene Antragstellerin ist geschieden. Sie lebte nach Aktenlage seit 2015 mit dem 1968 geboren L in I. Herr L ist gemäß einer von der Antragsgegnerin eingeholten Auskunft aus dem Melderegister anderweitig verheiratet. Im März 2017 schlossen die Antragstellerin und Herr L gemeinsam einen Mietvertrag über die Wohnung L-str. 00 in N, in die sie im Mai 2017 gemeinsam verzogen.

Vom 01.01.2019 bis zum 01.04.2019 bezog die Antragstellerin bei der Agentur für Arbeit C Arbeitslosengeld. Am 01.04.2019 beantragte sie bei der Antragsgegnerin Leistungen. Sie fügte dem Antrag Auszüge ihres Girokontos ab dem 01.01.2019 bei, die monatliche Zahlungen an Herrn L iHv 210 EUR ausweisen. Mit Schreiben vom 03.04.2019 erklärte die Antragstellerin, Herr L habe in der Slowakei eine Familie, die er von seinem Verdienst unterstütze. Gemeinsame Konten oder Sparbücher gebe es nicht. Da ihr letzter Ehemann sie "finanziell ruiniert" habe, sei sie nicht mehr bereit, sich auf eine gegenseitige finanzielle Abhängigkeit einzulassen. Bei einem Besuch des Außendienstes der Antragsgegnerin am 16.04.2019 erklärte die Antragstellerin, sie lebe in einer Partnerschaft mit Herrn L, es liege aber keine Einstandsgemeinschaft vor. Die finanziellen Angelegenheiten würden getrennt geregelt. Zur Wohnungseinrichtung hätten sie und Herr L jeweils hälftig beigetragen.

Am 08.05.2019 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dortmund beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Leistungen in Gestalt des Regelbedarfs und der Kosten der Unterkunft iHv 210 EUR zu verpflichten. Sie hat sich weiter gegen die Annahme des Bestehens einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit Herrn L gewandt. Die Antragsgegnerin hat erklärt, aufgrund des mehr als einjährigen Zusammenlebens der Antragstellerin mit Herrn L hiervon auszugehen. Mit Beschluss vom 22.05.2019 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, "vorläufig für die Zeit vom 08.05.2019 bis zum 31.10.2019 monatliche Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe (Regelbedarf) zu gewähren" und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache seien offen. Es sei nicht möglich, im Eilverfahren festzustellen, ob die Antragstellerin und Herr L eine Bedarfsgemeinschaft bildeten und hierdurch die Hilfebedürftigkeit entfalle. Da Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienten, die Antragsgegnerin aber bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren nach vorheriger Auszahlung nur finanzielle Nachteile zu befürchten hätte, gehe eine Folgenabwägung zugunsten der Antragstellerin aus. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft fehle es an einem Anordnungsgrund, weil keine Gefährdung der Wohnung erkennbar sei. Ausführungen zur Höhe des zu bewilligenden Regelbedarfs machte das Sozialgericht nicht.

Mit Bescheid vom 27.05.2019 hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin in Umsetzung des Beschlusses ALG II iHv 382 EUR (Leistungen für Partner in Höhe der Regelbedarfsstufe 2) monatlich vom 08.05.2019 bis zum 31.10.2019 bewilligt...

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