Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Vergütungsfestsetzung. Geltendmachung zusätzlicher Gebührenpositionen im Erinnerungsverfahren. fiktive Terminsgebühr. Nichtvorliegen eines "schriftlichen Vergleichs" iS von Nr 3106 S 2 Nr 1 Alt 2 RVG-VV
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Antragserweiterung im Erinnerungsverfahren gegen die Festsetzung der aus der Staatskasse an den beigeordneten Rechtsanwalt zu zahlenden Vergütung gelten die gleichen Grundsätze wie für die Klage- bzw Antragserweiterung im Rechtsmittelverfahren.
2. Unter einem "schriftlichen Vergleich" im Sinne von Ziffer 3106 S 2 Nr 1 2. Alt VV RVG ist nur ein unter Mitwirkung oder auf Veranlassung des Gerichts geschlossener Vergleich nach § 202 SGG iVm § 278 Abs 6 ZPO zu verstehen.
Orientierungssatz
Die fiktive Terminsgebühr dient in erster Linie dazu, dem Rechtsanwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins in den Fällen zu nehmen, in denen das Gericht von den im Prozessrecht vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen will, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung zu beenden. Zugleich soll er keinen Gebührennachteil dadurch erleiden, dass durch eine in der Hand des Gerichts liegende andere Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet wird.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 08.09.2014 wird zurückgewiesen.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Über die Beschwerde entscheidet der Senat mit drei Berufsrichtern, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)). Die Rechtssache wirft schwierige Fragen auf (Geltendmachung zusätzlicher Gebührenpositionen im Erinnerungsverfahren; Vorliegen eines schriftlichen Vergleichs gemäß Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 Vergütungsverzeichnis (VV) zum RVG), mit denen sich der Senat noch nicht befasst hat.
2. Antragsteller und Beschwerdeführer ist in Verfahren, die die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung bei gewährter Prozesskostenhilfe betreffen, der beigeordnete Rechtsanwalt selbst. Da das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 23.04.2014 eine Rechtsanwaltskanzlei beigeordnet hat (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20.11.2013 - L 2 AS 1494/13 B -, juris Rn. 7), ist diese dementsprechend Antragstellerin und Beschwerdeführerin. Beschwerdegegner ist in diesen Verfahren die Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor. Die durch die Prozesskostenhilfe begünstigte Partei ist am Verfahren nicht beteiligt (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 10.02.2011 - L 9 AS 1290/10 B -, juris Rn. 6 m.w.N.).
3. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Das Rechtsmittel der Beschwerde ist gegen Erinnerungsentscheidungen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG gegeben und nicht durch § 178 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder § 197 Abs. 2 SGG ausgeschlossen. Durch § 1 Abs. 3 RVG in der seit dem 01.08.2013 geltenden Fassung des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 24.07.2013, die wegen der erst am 23.04.2014 erfolgten Beiordnung hier anwendbar ist (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG), ist klargestellt worden, dass die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vorgehen.
b) Die Beschwerde ist gemäß § 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft, weil der Beschwerdewert von 200 Euro überschritten wird. Die Antragstellerin wendet sich im Beschwerdeverfahren allein dagegen, dass das SG in der Entscheidung über die Erinnerung entgegen dem im Erinnerungsverfahren eingereichten korrigierten Kostenerstattungsantrag vom 23.07.2014 die dort angesetzte fiktive Terminsgebühr gemäß Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 VV RVG sowie die darauf entfallende Umsatzsteuer (Ziffer 7008 VV RVG) nicht anerkannt hat. Da die Antragstellerin dort eine fiktive Terminsgebühr in Höhe von 280,- Euro angesetzt hat, übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 200,- Euro deutlich, ohne dass es darauf ankommt, ob für die Bestimmung des Beschwerdegegenstandes die Umsatzsteuer zu berücksichtigen ist (so überzeugend LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28.09.2011 - L 20 SO 424/11 B -, juris Rn. 18 f. m.w.N. auch zur Gegenauffassung).
c) Die Beschwerde ist am 23.09.2014 nach Maßgabe von §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG fristgemäß innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses des SG vom 08.09.2014 am 16.09.2014 eingelegt worden.
d) Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 22.10.2014, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 RVG).
4. Die Beschwerde ist unbegründet. Der Antragstellerin steht gegenüber der Staatskasse keine höhere Vergütung als die vom SG festgesetzten 772,73 Euro zu.
Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung von der Staatskasse, soweit in Abschnit...