Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachweis der Zustellung eines Schriftstücks. Beschwerdefrist. Briefkasten. Öffentliche Urkunde. Gegenbeweis. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Verschulden

 

Orientierungssatz

1. Die Beschwerde ist nach § 173 S. 1 SGG binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen.

2. Hat der Postzusteller in der über die Zustellung aufgenommenen Urkunde bezeugt, die zuzustellende Urkunde in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt zu haben, so begründet dies den vollen Beweis der in der Urkunde bezeichneten Tatsachen. Diese besitzt die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde i. S. des § 418 ZPO. Zur Entkräftung dieses Beweises durch Gegenbeweis genügt die bloße Versicherung, das Schriftstück nicht erhalten zu haben, nicht.

3. Erforderlich ist insoweit mindestens die Glaubhaftmachung eines Sachverhalts, der zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen ausschließt. Kann der Betroffene nicht glaubhaft machen, dass er von der zugestellten Entscheidung ohne Verschulden keine Kenntnis erlangt hat, so ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Fristversäumung nach § 67 Abs. 1 SGG ausgeschlossen.

 

Normenkette

ZPO §§ 180, 418; SGG §§ 173, 63, 67 Abs. 1, § 202

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 20. Juni 2013 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin vom 24. Juli 2013 war gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 572 Abs. 2 S. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht fristgerecht eingelegt wurde.

Die Beschwerde ist nach § 173 Satz 1 SGG binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der genannten Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 173 Satz 2 SGG).

Die Beschwerde ist von der Antragstellerin erst nach Ablauf der Monatsfrist eingelegt worden. Der angefochtene Beschluss ist der Antragstellerin ausweislich der gemäß § 202 SGG i.V.m. § 182 ZPO formell ordnungsgemäß ausgestellten und unterzeichneten Zustellungsurkunde vom 22. Juni 2013 an diesem Tag durch Einlegen in den Briefkasten entsprechend §§ 63, 202 SGG i.V.m. § 180 ZPO zugestellt worden. Ausgehend von diesem Zustellungsdatum lief die Monatsfrist zur Einlegung der Beschwerde gemäß § 64 SGG bis zum 22. Juli 2013 (einem Montag) und war am 24 Juli 2013, dem Tag der Einlegung, bereits abgelaufen. Da die Antragstellerin mit dem angefochtenen Beschluss über die Art des möglichen Rechtsbehelfs, den Ort seiner Anbringung und die einzuhaltende Frist ordnungsgemäß im Sinne von § 66 SGG belehrt wurde, greift hier nicht die in § 66 Abs. 2 SGG bei unrichtiger Belehrung vorgesehene Jahresfrist ein, sondern es verbleibt bei der Monatsfrist.

Das Vorbringen der Antragstellerin, sie habe das ihr zugestellte Schriftstück nicht erhalten, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Postzusteller hat in der über die Zustellung aufgenommenen Urkunde bezeugt, die zuzustellende Entscheidung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt zu haben, weil eine Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung bzw. in den Geschäftsräumen nicht möglich war. Dieser Vermerk hat auch dann, wenn er von einem Bediensteten der Deutschen Post AG ausgestellt wird, die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde im Sinne des §§ 418 ZPO, begründet also den vollen Beweis der in der Urkunde bezeichneten Tatsachen. Dieser Beweis kann zwar durch Gegenbeweis entkräftet werden (§ 418 Abs. 2 ZPO), die bloße Versicherung, das Schriftstück nicht erhalten zu haben, genügt dafür aber nicht. Die Unrichtigkeit der in der Urkunde bezeugten Tatsachen muss vielmehr zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen werden (vergleiche Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6.12.2004 zum Aktenzeichen AnwZ (B) 92/03 - zitiert nach juris). Bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen reichen zur Führung des Gegenbeweises nicht aus. Ebenso kann der Gegenbeweis nicht durch die bloße Behauptung geführt werden, die zugestellte Sendung nicht erhalten zu haben. Für die Wirksamkeit der Zustellung kommt es nämlich nicht darauf an, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Der Nachweis der Unrichtigkeit der Postzustellungsurkunde ist vielmehr substantiiert anzutreten und kann nur durch die vollständige Entkräftung ihres Inhalts geführt werden. Erforderlich ist mithin mindestens die Glaubhaftmachung eines Sachverhalts, der zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen ausschließt. Hier fehlt es...

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