Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenabwägung bei der Aussetzung der Vollstreckung zuerkannter Leistungen der Grundsicherung

 

Orientierungssatz

1. Die Anordnung des Gerichts, nach § 199 Abs. 2 SGG die Vollstreckung einstweilen auszusetzen, ist eine Ermessensentscheidung. Für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung im Eilverfahren bedarf es der Glaubhaftmachung derart schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als durch die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Hierbei ist eine Interessenabwägung vorzunehmen.

2. Das Interesse des Leistungsempfängers ist bei der Bewilligung von Leistungen des SGB 2 auf die Zahlung vorläufig zuerkannter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gerichtet. Das Interesse des Leistungsträgers besteht darin, dass er, würde die Zwangsvollstreckung nicht einstweilen ausgesetzt, eine etwaige Rückforderung gfs. nicht realisieren kann.

3. Die Gewährung existenzsichernder Leistungen entspricht einer verfassungsrechtlichen, dem Schutz der Menschenwürde dienenden Pflicht des Staates. Weil zur Rechtmäßigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 schwierige und komplexe Rechtsfragen zu beantworten sind, kann diese Frage im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht endgültig geklärt werden. Damit fällt die im einstweiligen Rechtsschutz zu treffende Folgenabwägung regelmäßig zugunsten des Leistungsempfängers aus.

 

Tenor

Der Antrag des Antragstellers, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 09.09.2013 einstweilen auszusetzen, wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner.

 

Gründe

Der Aussetzungsantrag ist zulässig.

Nach § 199 Abs. 2 SGG kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Der vom Antragsteller mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts vom 09.09.2013 ist ein vollstreckbarer Titel (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Mit ihm wurde der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsgegnern ab dem 28.06.2013 bis zum 31.12.2013, längstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (s § 175 Satz 1 und 2 SGG).

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Die Anordnung nach § 199 Abs. 2 SGG, die Vollstreckung einstweilen auszusetzen, ist eine Ermessensentscheidung (s BSG SozR 4-1500 § 154 Nr. 1; LSG BW Beschl v 26.01.2006 -L 8 AS 403/06 ER; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 10. Aufl § 199 Rn 8 mwN; aA BSG SozR 3-1500 § 199 Nr 1). Sie erfordert regelmäßig eine Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten (s Leitherer aa0 mwN). Bei der Bewertung der Umstände des Einzelfalls können auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels von Bedeutung sein (s BSG SozR 4 aa0). Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es aber regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände, die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel als solcher regelmäßig verbunden sind. Dies folgt aus der Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsmittel Berufung und Beschwerde schon grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben (§ 154 Abs. 1 iVm § 86 a; § 154 Abs. 2 SGG (Berufung); § 175 Satz 1 und 2 SGG (Beschwerde); vgl hierzu auch BSG Beschl v 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R) und - bezogen auf die hier eingelegte Beschwerde - keiner der in § 175 Satz 1 und 2 SGG aufgeführten Tatbestände gegeben ist, der ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung nach sich zieht. Hinzu kommt, dass der Antragsteller in einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ebenfalls eine nur vorläufige Regelung über die Aussetzung der Vollstreckung bis zur Beendigung des Instanzenzuges erstrebt. Ist aber schon das in der Hauptsache geführte Eilverfahren im Sinne eines nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 4 SGG effizienten Rechtsschutzes darauf gerichtet, schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können, abzuwenden (s etwa BVerfG Beschl v 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03; BVerfG aaO), so bedarf es für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG im Eilverfahren der Glaubhaftmachung weiterer derart schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als in dem schmalen Zeitfenster bis zur Entscheidung über die Beschwerde (zur Glaubhaftmachung s Bayer LSG Beschl v 08.02.2006 - L 10 AS 17/06 ER; LSG BW Beschl v 24.06.2008 - L 7 AS 2955/08 ER). Damit verengt sich der Anwendungsbereich des § 199 Abs. 2 SGG auch und gerade in Eilverfahren auf Fallgestaltungen, in denen die Vollstreckung gegen den Leistungsträger ganz e...

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