Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenabwägung bei der Aussetzung der Vollstreckung einer Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Die Aussetzung der Vollstreckung durch einstweilige Anordnung bei fehlender aufschiebender Wirkung des Rechtsmittels erfordert regelmäßig eine Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor Beendigung des Instanzenzugs zu leisten.
2. Dazu bedarf es besonderer rechtfertigender Umstände, die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel als solcher verbunden sind.
3. Eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG setzt die Glaubhaftmachung weiterer schwerer und unzumutbarer Beeinträchtigungen voraus, welche durch die Entscheidung über die Beschwerde nicht mehr beseitigt werden können.
4. Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung eines Anordnungsgrundes für die Geltendmachung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist die drohende Wohnungslosigkeit. Hat der Hilfebedürftige insoweit einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, so ist die Vollstreckung aus einem sozialgerichtlichen Beschluss zur Verpflichtung des Grundsicherungsträgers über die Gewährung von Grundsicherungsleistungen durch einstweilige Anordnung auszusetzen.
Tenor
Die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 23.08.2013 wird insoweit einstweilen ausgesetzt, als der Antragssteller verpflichtet wird, Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie Regelleistungen über den 30.11.2013 hinaus zu erbringen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsteller hat 1/3 der Kosten des Antragsgegners zu erstatten.
Gründe
Die Entscheidung beruht auf § 199 Abs. 2 SGG. Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Aussetzungsantrag ist zulässig. Der vom Antragsteller mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ist ein vollstreckbarer Titel (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Mit ihm wurde der Antragssteller als Antragsgegner des Eilverfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Arbeitslosengeld II (d.h. gem. § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie den Bedarf für Unterkunft und Heizung) zu zahlen. Der Umstand, dass es sich um eine Verpflichtung zur Leistung dem Grunde nach handelt, ohne dass die Höhe des Betrages genannt ist, steht der Vollstreckbarkeit des Beschlusses nicht entgegen (vergl. zur insoweit parallelen Rechtslage bei der Vollstreckung aus Grundurteilen nach § 130 SGG Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 201 Rn. 2 mwN). Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 175 S. 1 und 2 SGG).
Der Antrag ist teilweise begründet. Die Anordnung nach § 199 Abs. 2 SGG, die Vollstreckung einstweilen auszusetzen, ist eine Ermessensentscheidung (BSG Beschluss vom 08.12.2009 - B 8 SO 17/09 R; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 26.01.2006 - L 8 AS 403/06 ER; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 10. Aufl., § 199 Rn 8 mwN; abweichend BSG Beschluss vom 06.08.1999 - B 4 RA 25/98 B). Sie erfordert regelmäßig eine Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 10. Aufl., § 199 Rn 8 mwN).
Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es allerdings regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände, die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel als solcher verbunden sind. Dies folgt aus der Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsmittel Berufung und Beschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben (§§ 154, 175 SGG; hierzu auch BSG Beschluss vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R).
Für die Aussetzung der Vollstreckung aus einer einstweiligen Anordnung kommt hinzu, dass schon das in der Hauptsache geführte Eilverfahren darauf gerichtet ist, effizienten Rechtsschutz unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu gewährleisten (so etwa BVerfG Beschluss vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03). Daher bedarf es für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG der Glaubhaftmachung weiterer schwerer und unzumutbarer, nicht anders abwendbarer Beeinträchtigungen, die durch die Entscheidung über die Beschwerde - obwohl Eilverfahren - nicht mehr beseitigt werden können (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 06.06.2013 - L 6 SF 12713 ER, 16.05.2013 - L 6 SF 68/13 B ER, 19.04.2013 - L 6 SF 62/13 ER).
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