Entscheidungsstichwort (Thema)

Verordnungsregress gegen einen Vertragsarzt bei einem gegen ihn eröffneten Insolvenzverfahren

 

Orientierungssatz

1. Eine Insolvenzforderung liegt dann vor, wenn der Anspruch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet war. Die Befugnisse der Prüfgremien gegenüber dem Vertragsarzt werden von der Insolvenzordnung überlagert. Die Insolvenzforderungen sind bei dem Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle anzumelden.

2. Nicht durch § 37 Abs. 1 SGB 10, sondern durch das materielle Recht wird bestimmt, ob bei Insolvenz des Vertragsarztes der Regressbescheid der Prüfungsstelle gegen den Gemeinschuldner oder gegen den Insolvenzverwalter zu richten ist. Ein nach dem Insolvenzfall gegen den Gemeinschuldner gerichteter Verwaltungsakt wird gegenüber dem Gemeinschuldner auch dann wirksam, wenn dieser nach materiellem Recht an den Insolvenzverwalter zu richten gewesen wäre.

3. Das Verfahren vor dem Berufungsausschuss und dem Beschwerdeausschuss gilt entgegen dem allgemeinen Verfahrensrecht als Vorverfahren. Durch diese Sonderregelung ist ab dem Zeitpunkt der Anrufung des Beschwerdeausschusses nur noch dieser Ausschuss zuständig. Das hat zur Folge, dass der Bescheid des Beschwerdeausschusses nicht nur Verfahrens- und Formfehler heilen kann, sondern auch nichtige Bescheide der Prüfungsstelle zu ersetzen vermag.

4. Hat der Vertragsarzt gegen die normativen Vorgaben der Heilmittelvereinbarung und des § 12 SGB 5 vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verstoßen und hierdurch der Krankenkasse einen Schaden verursacht, so war der Vermögensanspruch der Krankenkasse bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründet. Der Insolvenzgläubiger ist gehalten, seinen Anspruch nach § 174 InsO beim Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle anzumelden. Ist das nicht geschehen, so ist die Krankenkasse gehindert, den sich aus der Zeit bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergebenden Schadensregress zu realisieren.

5. Eine Krankenkasse, die einen Regressanspruch gegen einen Vertragsarzt durchsetzen will, ist auf ein Tätigwerden der Prüfgremien angewiesen. Rechtlich und tatsächlich wird die Kassenärztliche Vereinigung für die Krankenkasse als Gläubiger tätig. Ungeachtet dessen ist die Prüfungsstelle beim Verordnungsregress berechtigt, mit Forderungen der Krankenkassen aufzurechnen, die auf der Festsetzung von Regressen im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Verordnungsbereich gegen den Vertragsarzt beruhen.

 

Tenor

Die Beschwerden des Antragstellers und des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.10.2010 werden zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens L 11 KA 121/10 B ER. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens L 11 KA 16/11 B ER.

Der Streitwert für die Verfahren L 11 KA 121/10 B ER und L 11 KA 16/11 B ER wird auf jeweils 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf anhängigen Klage des Antragstellers in dem Verfahren S 2 KA 212/10 sowie die Auskehrung bereits ausgeführter Honorareinbehalte.

Der Antragsteller ist als Arzt für Orthopädie in C zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Durch Beschluss des Amtsgerichts C vom 01.02.2007 - 000 - wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Als Insolvenzverwalter bestellte das Amtsgericht Rechtsanwalt X.

Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein setzte wegen Überschreitung der Heilmittelrichtgrößen mit Bescheid vom 29.10.2008 einen Regress in Höhe von 209.979,81 EUR (Quartale I/2 006 bis IV/2006) und mit weiterem Bescheid vom 10.08.2009 einen Regress in Höhe von 156.340,48 EUR (Quartale I/2007 bis IV/2007) fest. Diese Bescheide wurden allein dem Antragsteller (Gemeinschuldner) übermittelt, der jeweils fristgerecht Widerspruch einlegte. Mit Schreiben identischen Inhalts vom 30.11.2009 unterrichtete der Antragsgegner sodann den Antragsteller (Gemeinschuldner) und den Insolvenzverwalter über die anhängigen Widerspruchsverfahren betreffend Wirtschaftlichkeitsprüfungen des Gemeinschuldners.

Der Antragsgegner wies die Widersprüche mit Bescheid vom 19.04.2010 zurück. Dieser Bescheid wurde sowohl dem Insolvenzverwalter als auch dem Antragsteller zugestellt.

Der Insolvenzverwalter hat am 18.05.2010 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben (S 2 KA 212/10) und unter dem 30.08.2010 um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Angesichts des am 01.02.2007 eröffneten Insolvenzverfahren sei der Bescheid vom 19.04.2010 nichtig. Im Zeitpunkt der Bescheiderteilung seien die Prüfgremien nicht berechtigt gewesen, die Regressforderung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Gemeinschuldner festzustellen. Ihre Befugnisse würden von der Insolvenzordnung überlagert. Insolvenzforderungen seien zur Insolvenztabelle anzumelden. Soweit über eine solche Forderung nicht bereits vor Insolvenzeröffnung ein Verwaltungsakt ergangen sei, dürfe er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Anmeldung der Forderung zu...

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