Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen von einstweiligem Rechtschutz gegen einen Beitragsbescheid des Versicherungsträgers bei dessen nicht ausreichenden Ermittlungen zum Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung
Orientierungssatz
1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
2. Die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen Beitragsbescheid des Versicherungsträgers ist nach §§ 86b Abs. 1 S. 1, 86a Abs. 3 S. 2 SGG anzuordnen, wenn der Versicherungsträger die zur Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung zu selbständiger Tätigkeit, u. a. hinsichtlich Weisungsgebundenheit, Eingliederung und unternehmerischem Risiko, relevanten Punkte nicht ausreichend ermittelt hat.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.7.2021 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen S 27 BA 20/19 anhängigen Klage gegen den Bescheid vom 19.2.2016 in der Gestalt des Bescheides vom 6.8.2018 und des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2018 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.248,91 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 23.7.2021 ist begründet. Auf seinen Antrag vom 22.5.2019 ist die aufschiebenden Wirkung der von ihm am 28.1.2019 erhobenen Klage (S 27 BA 20/19) gegen den Bescheid vom 19.2.2016 in der Gestalt des Bescheides vom 6.8.2018 und des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2018 anzuordnen.
Der Eilantrag des Antragstellers ist zulässig und begründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen bzw. gemäß § 86b Abs. 1 S. 2 SGG eine schon vorgenommene Vollziehung aufheben. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die - wie hier erfolgte - Entscheidung über Versicherungs- und Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen haben gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung.
Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 21.10.2020 - L 8 BA 143/19 B ER - juris Rn. 3).
Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des erkennenden Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 21.10.2020 - L 8 BA 143/19 B ER - juris Rn. 4 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, da deren Erfolg nach den bisher aktenkundigen Umständen wahrscheinlich ist. Es spricht nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung derzeit - wie erforderlich (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 21.10.2020 - L 8 BA 143/19 B ER - juris Rn. 4 m.w.N.) - mehr dafür als dagegen, dass sich die von der Antragsgegnerin erlassenen streitigen Bescheide, mit denen sie vom Antragsteller für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis 31.12.2014 Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, zur sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie Umlagen in Höhe von insgesamt 28.995,65 Euro nachfordert, als rechtswidrig erweisen werden.
Rechtsgrundlage des aufgrund einer Betriebsprüfung ergangenen Bescheides und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs. 1 S. 1 und S. 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuc...