Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerbegriff zur Begründung der unionsrechtlichen Freizügigkeitsberechtigung
Orientierungssatz
1. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 sind Ausländer von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
2. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG ist unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt, wer sich als Arbeitnehmer in Deutschland aufhält. Über einen Zeitraum von sieben Monaten jeweils monatlich im Umfang von 156 bis 172 €. erzielte Einkünfte sind nicht als Arbeitseinkünfte von völlig untergeordneter Natur einzuordnen. Sie liegen oberhalb der Freibetragsgrenze des § 11b Abs. 2 SGB 2 von 100.- €. Damit begründen sie die Arbeitnehmereigenschaft und somit ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG. Dem Hilfebedürftigen kann infolgedessen der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 nicht entgegengehalten werden.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 2, § 11b Abs. 2; FreizügG § 2 Abs. 2 Nr. 1; EntgFG § 12; BGB § 569 Abs. 3 Nr. 2; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; ZPO § 920 Abs. 2, § 294
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.07.2016 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 24.05.2016 bis 31.10.2016 vorläufig SGB II-Leistungen in Form der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft und Heizung unter Anrechnung ihres Einkommens nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I bewilligt.
Gründe
I.
Streitig ist die Verpflichtung des Antragsgegners, der Antragstellerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu gewähren.
Die am 00.00.1958 geborene Antragstellerin ist lettische Staatsangehörige und lebt seit Dezember 2014 in der Bundesrepublik Deutschland. Seit dem 24.07.2015 lebt sie in einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem Lebensgefährten F D. Die Wohnung ist 51 m² groß bei einer Miete von 349,00 Euro inklusive Nebenkosten und Heizkosten in Höhe von 130,00 Euro monatlich. Zuletzt bezog sie vorläufige Leistungen nach dem SGB II bis zum 31.03.2016 (Beschluss Sozialgericht Düsseldorf vom 17.02.2016 im Verfahren S 37 AS 4829/15).
Ab dem 03.09.2014 bis 31.05.2015 ging die Antragstellerin einer Erwerbstätigkeit als Reinigungskraft bei der Firma T nach. Dieses Arbeitsverhältnis endete aufgrund ordentlicher Kündigung durch den Arbeitgeber. Die Firma E Gebäudemanagement GmbH in S stellte die Antragstellerin ab dem 19.08.2015 befristet bis zum 31.12.2015 als Reinigungskraft für das Objekt N in L ein. Vertraglich vereinbart waren mindestens 4 Stunden wöchentliche Arbeitszeit, bei Bedarf mehr. Ihr Nettoeinkommen betrug ca. 152,80 Euro im Monat bei einem Stundenlohn von 9,55 Euro. Ungeachtet der Befristung hat die Antragstellerin ihre Tätigkeit bis März 2016 weiterhin regelmäßig ausgeübt hat. Seit dem 21.03.2016 bis zum 29.06.2016 war die Antragstellerin arbeitsunfähig erkrankt. Im Hinblick auf dieses Arbeitsverhältnis hat die Antragstellerin ein Klageverfahren anhängig bezüglich einer Lohnforderung von etwa 500,00 Euro. Hierin werden für Februar bis April 2016 Lohnforderungen von ca. 172,00 Euro monatlich geltend gemacht.
Mit der Firma S GmbH aus S hat die Antragstellerin einen weiteren Arbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung geschlossen. Nach dem Inhalt des Vertrages wird sie ab dem 14.06.2016 befristet bis 31.12.2016 als Springerin/Servicekraft eingestellt. Die Arbeitszeit beträgt täglich 2 Stunden = wöchentliche Arbeitszeit 4 Stunden bei einer 2-Tagewoche und bei einem Stundenlohn von 9,80 Euro brutto. Nach den Vertragsbedingungen sind mit dem Lohn sämtliche Ansprüche des Arbeitnehmers (Lohnfortzahlung) abgegolten. Seit dem 30.06.2016 ist die Antragstellerin wieder arbeitsfähig und arbeitet als Putzfrau bei der Firma N, vermittelt über die Firma S GmbH in S. Die Lohnabrechnung für Juli 2016 weist einen Betrag in Höhe von 156,00 Euro aus.
Der Antragsgegner bewilligte dem Lebensgefährten der Antragstellerin mit Bescheid vom 26.04.2016 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.05.2016 bis zum 31.10.2016. Darin enthalten waren Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 239,50 Euro (hälftiger Anteil an den Gesamtkosten). Leistungen für die Antragstellerin berücksichtigte der Antragsgegner zur Berechnung des Anspruchs des F D lediglich fiktiv, eine Bewilligung von Leistungen für diese lehnte er ab.
Die Antragstellerin legte hiergegen Widerspruch ein. Nach ihrer Auffassung verfüge sie weiterhin über einen Arbeitnehmerstatus, so dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II für sie nicht greife.
Am 24.05.2016 hat die Antragstellerin beim Sozialgerich...