Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Feststellung der Erwerbsfähigkeit. keine Bindung des Sozialgerichts an die gutachterliche Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers. noch keine Entscheidung der Agentur für Arbeit. Fiktion der Erwerbsfähigkeit trotz Stellungnahme des Fachausschusses der WfbM
Orientierungssatz
1. Bei der Feststellung der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen iS des § 8 Abs 1 SGB 2 ist das Sozialgericht an die gutachterliche Stellungnahme der Rentenversicherung nicht gebunden. Bis zu der Entscheidung über den Widerspruch gegen einen ablehnenden Bescheid unterstellt § 44a Abs 1 S 7 SGB 2 das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit als Voraussetzung eines Anspruchs nach dem SGB 2.
2. Der Hilfebedürftige ist in Fällen, in denen es die Agentur für Arbeit gänzlich unterlässt, Feststellungen zu treffen, so zu stellen, als wäre er erwerbsfähig (Anschluss an BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R = BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2).
3. § 45 SGB 12 regelt die Zusammenarbeit zwischen den Trägern der Sozialhilfe und den Trägern der Rentenversicherung bei der Feststellung der medizinischen Voraussetzungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach § 41 Abs 3 SGB 12. Die Vorschrift regelt nicht den Zuständigkeitskonflikt des Leistungsträgers nach dem SGB 12 mit dem Jobcenter. Dieser ist ausschließlich in § 44a SGB 2 geregelt.
4. Im Verhältnis der Leistungsträger des SGB 2 und des SGB 12 zueinander bedarf es der Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme nicht, wenn der zuständige Rentenversicherungsträger bereits nach § 109a Abs 2 S 2 SGB 6 eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben hat. An einer solchen fehlt es, wenn lediglich eine Entscheidung des Fachausschusses gem § 45 S 3 Nr 3 SGB 12 vorliegt.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 13.03.2014 geändert und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 16.01.2014 bis zum 30.06.2014 neben der Regelleistung auch Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 394,- EUR zu gewähren. Die Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Grundsicherungsleistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der am 00.00.1968 geborene Antragsteller bewohnt eine Wohnung, für die er monatlich einen Kaltmietzins von 225,- EUR, Nebenkosten von 70,- EUR und Heizkosten von 99,- EUR zu entrichten hat. Er leidet u.a. unter verschiedenen psychischen Erkrankungen. Aufgrund einer Entscheidung des Fachausschusses vom 26.06.2012 ist der ursprünglich in E wohnende Antragsteller seit dem 03.09.2012 im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für Menschen mit Behinderung beschäftigt. Er erhält hieraus eine Vergütung von monatlich 233,10 EUR brutto und 202,24 EUR netto.
Der Antragsteller beantragte im Jahr 2012 bei der Stadt M Leistungen nach dem SGB XII. Mit Bescheid vom 22.10.2012 bewilligte die Stadt E Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit von Oktober 2012 bis Dezember 2013.
Am 24.04.2013 erstellte die ärztliche Begutachtungsstelle der Deutschen Rentenversicherung Westfalen auf Antrag der Stadt M nach § 45 Abs. 1 SGB XII ein Gutachten über die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers. Die Begutachtungsstelle kam zu dem Ergebnis, der Antragsteller könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein.
Mit Bescheid vom 14.05.2013 und Änderungsbescheid vom 22.05.2013 stellte die Stadt E die Leistungen nach dem SGB XII zum 30.06.2013 ein und verwies den Antragsteller aufgrund der festgestellten Erwerbsfähigkeit auf Leistungen nach dem SGB II. Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 10.06.2013 Widerspruch.
Am 28.06.2013 beantragte er bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheid vom gleichen Tage bewilligte der Antragsgegner die beantragten Leistungen für die Zeit vom 01.07.2013 bis zum 31.12.2013 als Vorschuss. Mit Schreiben vom 19.08.2013 machte er gegenüber der Stadt M einen Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. SGB X geltend. Nach seiner Ansicht habe der Antragsteller einen Anspruch auf Sozialhilfe. Ein Verfahren nach § 44a SGB II wurde nicht eingeleitet.
Am 15.10.2013 beantragte der Antragsteller bei der Stadt E Sozialhilfeleistungen. Diesen Antrag lehnte die Stadt E mit Bescheid vom 28.10.2013 ab. Hiergegen legte der Antragsteller am 08.11.2013 Widerspruch ein.
Am 09.12.2013 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Fortzahlung der Grundsicherungsleistungen. Mit Bescheid vom 19.12.2013 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag ab. Der Antragsteller sei nicht erwerbsfähig. Mit weiterem Bescheid vom 19.12.2013 setzte der Antragsgegner die Leistungen für die Zeit vom 01.07.2013 bis 31.12.2013 auf 0,- EUR...