Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht von vermittelten Betreuungskräften aus Polen. Tätigkeit als Pflegekraft oder Haushaltshilfe. abhängige Beschäftigung. Arbeitgeber. Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen. sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Die Vorschrift des § 86 a Abs 2 Nr 1 SGG verlagert das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten. Infolgedessen begründen nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen.
2. Wird eine Pflegekraft bzw Haushaltshilfe nahezu vollständig "rund um die Uhr" durch die zu verrichtende Tätigkeit in Anspruch genommen, ist sie hierdurch an den Arbeitsort gebunden und stehen ihr trotz fehlender Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall mangels verfügbarer Arbeitszeit für eine anderweitige selbständige Tätigkeit keinerlei wirtschaftliche Chancen gegenüber, so ist von einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis auszugehen.
3. Ist die Gegenleistung für Pflege und Versorgung ausschließlich von dem Pflegebedürftigen an die Betreuungskraft zu zahlen und beschränkt sich die Aktivität desjenigen, der dem Pflegebedürftigen die Hilfsperson zugeführt hat, auf die Vermittlung der Betreuungskraft, so ist als Arbeitgeber eines solchen Beschäftigungsverhältnisses nicht der Vermittler, sondern der Pflegebedürftige anzusehen.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 12.4.2011 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 61.401,81 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.03.2010 über die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung und Säumniszuschlägen.
Die Antragstellerin vermittelte Arbeitskräfte aus Polen (im Folgenden: Betreuungskräfte) an deutsche Haushalte. Für sie ist bei der Gemeinde G als Gewerbe die "Vermittlung polnischer Arbeitskräfte" angemeldet. Hinterlegt wurde ein Vertragsmuster betreffend die Vermittlung von polnischen Haushaltshilfen innerhalb der Europäischen Union (EU). Auch im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung ist als Art des ausgeübten Gewerbes die Vermittlung polnischer Arbeitskräfte als Haushaltshilfen in der EU angegeben. Für die Betreuungskräfte erfolgte jeweils ebenfalls eine Gewerbeanmeldung, wobei als angemeldete Tätigkeit "Haushaltshilfe und Seniorenbetreuung", "Haushaltshilfe" oder ähnliches angegeben wurde. Bei der Anmeldung dieser Gewerbe war die Antragstellerin häufig anwesend, um die teilweise nur unzureichend Deutsch sprechenden Betreuungskräfte bei der Anmeldung zu unterstützen.
Nach den Feststellungen der Antragsgegnerin lagen den Pflegetätigkeiten der Betreuungskräfte jeweils zwei Verträge zugrunde:
Zwischen der Antragstellerin und den Pflegebedürftigen wurde ein sog. "Vertrag über die Vermittlung von selbstständigen Betreuungskräften und Haushaltshilfen" geschlossen. Dessen § 1 zufolge verpflichtete sich die Antragstellerin, dem als "Auftraggeber" bezeichneten Pflegebedürftigen Betreuungspersonen zu vermitteln. § 2 des Vertrages lautet: "Die jeweils vermittelte Betreuungsperson erledigt ihre Aufgaben selbstständig in Absprache mit dem Auftraggeber. Die Betreuungsperson leistet - tags und bei Bedarf auch nachts - Hilfe bei allen wichtigen Dingen des täglichen Lebens; z.B. beim Aufstehen, beim Ankleiden, der Körperhygiene, beim Toilettengang, beim Wechseln von Windeln, bei Arztbesuchen, bei Behördengängen, bei Spaziergängen, der Zubereitung von Mahlzeiten, bei Einkäufen, bei Pflege der Wäsche und der Wohnung. Eine medizinische Versorgung wird nicht übernommen." § 3 sieht vor, dass die jeweilige Betreuungskraft für einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen für den Auftraggeber tätig wird und dass sie danach durch eine andere, von der Antragstellerin vermittelte Kraft ersetzt wird, sodass keine Betreuungslücken entstehen. Nach § 4 hat der Auftraggeber der Betreuungskraft ein eigenes Zimmer zur Verfügung zu stellen und ihr ausreichend Möglichkeit zur Badbenutzung einzuräumen. Zwei Stunden am Tag sind arbeits- und betreuungsfrei. In dieser Zeit darf die Betreuungskraft das Haus des Auftraggebers verlassen. § 6 regelt in Form von Tagessätzen das für die vermittelte Betreuungskraft vereinbarte Entgelt. Die Betreuungskraft hat nach § 8 dem Auftraggeber monatlich eine Rechnung zu stellen, wobei 10 % der Summe der Auftragnehmerin "als Provision" zusteht, die direkt auf ihr Konto zu zahlen ist. Im Übrigen zahlt der Auftraggeber das Entgelt unmittelbar an die Betreuungskraft.
Außerdem wurden Verträge zwischen der Antragstellerin und den Betreuungskräften geschlossen, die mehrheitlich ebenfalls "Vertrag über die Vermittlung...