Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. hinreichende Erfolgsaussichten. maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt. Eintritt der Entscheidungsreife
Orientierungssatz
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussicht iS des § 114 Abs 1 S 1 ZPO ist nicht der Zeitpunkt der Entscheidung, sondern der Zeitpunkt der Entscheidungsreife (vgl BVerfG vom 22.8.2018 - 2 BvR 2647/17 = NVwZ-RR 2018, 873; LSG Berlin-Potsdam vom 6.4.2011 - L 5 AS 397/10 B PKH; LSG Essen vom 4.3.2010 - L 6 B 158/09 AS und VGH München vom 2.7.2007 - 19 C 07.1311).
2. Die Entscheidungsreife tritt erst ein, wenn der vollständige Prozesskostenhilfeantrag in der durch § 117 Abs 1 ZPO vorgegebenen Form einschließlich der gemäß § 117 Abs 2 ZPO erforderlichen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der nötigen Belege eingegangen ist und das Gericht dem Prozessgegner gemäß § 118 Abs 1 S 1 ZPO angemessene Zeit zur Stellungnahme und erforderlichenfalls den Beteiligten gemäß § 118 Abs 2 ZPO die Gelegenheit gegeben hat, ihre tatsächlichen Behauptungen glaubhaft zu machen (vgl LSG Stuttgart vom 27.4.2010 - L 11 R 6027/09 B und LSG München vom 19.3.2009 - L 7 AS 64/09 B PKH).
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.01.2020 aufgehoben; der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren bewilligt und Rechtsanwalt E aus M beigeordnet.
Gründe
I.
In der Hauptsache begehrt die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am 00.00.1974 geborene Klägerin beantragte am 06.03.2018 bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Im Verwaltungsverfahren holte die Beklagte Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin ein und zog ein Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin, Zusatzbezeichnung Sozialmedizin, Q, Amtsärztlicher Dienst des L, vom 18.10.2017 bei. Zudem ließ sie die Klägerin von dem Facharzt für Orthopädie und Sozialmedizin Dr. G untersuchen, der unter dem 08.08.2018 ein Gutachten erstattete. Darin heißt es, auf seinem Fachgebiet seien folgende Diagnosen zu stellen:
1. Funktionseinschränkung (Minderbelastbarkeit) der Halswirbelsäule bei Bandscheibenvorfall C4/5 und C5/6 bei Zervikal- und Zervikobrachialsyndrom, Bewegungseinschränkung, 2. Funktionseinschränkung (Minderbelastbarkeit) der Lendenwirbelsäule (LWS) bei Protrusion L4/5 und L5/S1 mit Lumbalgien, Lumboischialgien, Bewegungseinschränkungen, 3. Funktionseinschränkung der Schultergelenke, insbesondere links, bei Schulterengpasssyndrom, Bewegungseinschränkung, 4. Funktionseinschränkung (Minderbelastbarkeit) der Fingermittel- und -endgelenke bei Hinweisen auf eine Polyarthrose, 5. Funktionseinschränkung (Minderbelastbarkeit) der Hüftgelenke bei Coxarthrose.
Des Weiteren leide die Klägerin unter einer Migräne, einer Depression (neurologische Behandlung) und chronischem Nikotinabusus. Das Leistungsvermögen reiche für die Verrichtung körperlich leichter bis mittelschwerer Arbeiten in überwiegend stehender oder gehender, zeitweise sitzender Haltung in Tagesschicht aus, wenn einige qualitative Einschränkungen berücksichtigt würden. Die Klägerin könne regelmäßig täglich sechs Stunden und mehr arbeiten, zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich, die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.
Mit Bescheid vom 07.09.2018 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Den unter dem 14.09.2018 eingelegten Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 21.05.2019 zurück.
Mit ihrer am 21.06.2019 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Am 30.09.2019 sind die Klagebegründung und der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe beim Sozialgericht Gelsenkirchen eingegangen und der Beklagten am 04.10.2019 zur Kenntnisnahme übermittelt worden. Die Klägerin trägt vor, sie habe erhebliche Beschwerden, insbesondere aufgrund von Nierensteinen. Auch habe sie Magen- und Darmprobleme; eine Laktose- und eine Fruktoseintoleranz seien diagnostiziert worden. Schmerzen und Einschränkungen bestünden zudem durch eingeklemmte Nerven im Bereich der Rippen.
Am 08.10.2019 ist die Erklärung zu den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen bei Gericht eingegangen. Am 10.10.2019 ist ein Befundbericht des Chirurgen Dr. C eingegangen, in welchem dieser mitteilt, die Klägerin könne von Seiten seines Fachgebiets (nach derzeit bekannter Diagnose) noch sechs Stunden arbeitstäglich eine körperlich leichte Tätigkeit ohne besonderen Zeitdruck und in wechselnder Körperhaltung ausüben, jedoch sei dies ohne eine gutachterliche Untersuchung nicht sicher zu entscheiden. Am 12.12.2019 ist auch der zweite vom Sozialgericht angeforderte Befundbericht eingegangen. In diesem teilt der Internist M1 die von ihm zwischen dem 03.03.2017 und dem 15.11.2019 gestellten Diagnosen mit; die Frage, ob die Klägerin noch arbeitstäglich sechs Stunden und mehr körperlich leichte Arbeiten ohne Zeitdruck und in wechselnder Körperhaltung verrichten könne, bejaht er. Beide Befundberichte sind...