Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Erbfall. Überleitungsanspruch gem § 93 Abs 1 SGB 12. Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige. Bausparguthaben als Einkommen. keine Überleitung von geschütztem Einkommen und Vermögen. Ermessensentscheidung. intendiertes Ermessen

 

Orientierungssatz

1. Auch § 93 SGB 12 als Nachfolgevorschrift des § 90 BSHG ist nicht zu entnehmen, dass die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige auf die Rechtmäßigkeit der gewährten Hilfeleistung Bedacht zu nehmen hat.

2. Einer Überleitung gem § 93 SGB 12 von Ansprüchen, die zum geschützten Einkommen oder Vermögen gehören, steht die sozialrechtliche Wertung der § 82 und § 90 SGB 12 entgegen.

3. Der Erbe eines Bausparvertrags kann sich nicht darauf berufen, dass der Anspruch auf Rückzahlung des Bausparguthabens sozialhilferechtlich zwingend als Vermögen einzustufen ist, da die Ansparung nicht durch den Erben, sondern durch den Erblasser erfolgt ist. Unabhängig davon stellt das Bausparvermögen keine geschützte Vermögensposition dar, wenn die objektive und subjektive Zweckbestimmung der Altersvorsorge nicht dargelegt ist.

4. Es spricht vieles dafür, auch unter der Geltung des § 93 SGB 12 als Nachfolgevorschrift zu § 90 BSHG die Rechtsfigur des intendierten Ermessens, bei der schon durch das Gesetz selbst eine bestimmte Richtung vorgezeichnet ist, zu übernehmen; an die Begründung der getroffenen Ermessensentscheidung sind danach keine hohen Anforderungen zu stellen.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 30.10.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der 1958 geborene Antragsteller erhält seit dem 01.01.2005 von der Antragsgegnerin Leistungen nach dem 12. Kapitel des Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII). Im Einzelnen wurden monatliche Grundsicherungsleistungen im Zeitraum Januar bis August 2006 in Höhe von 729,44 EUR und im Zeitraum September bis November 2006 in Höhe von 728,55 EUR erbracht. Darüber hinaus erbrachte die Antragsgegnerin Leistungen für eine Haushaltshilfe im Zeitraum Januar bis September 2006.

Der Antragsteller ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60. Er ist alleiniger Erbe seines am 00.01.2006 verstorbenen Vaters. Seine jetzige Prozessbevollmächtigte ist mit Bestallungsurkunde vom 30.03.2006 durch das Amtsgericht Münster für den Aufgabenkreis "Regelung der Nachlassangelegenheit" und mit Bestallungsurkunde vom 31.08.2006 ergänzend für die Aufgabenkreise "Behördenangelegenheiten und Vermögenssorge" zur gesetzlichen Betreuerin des Antragstellers bestellt worden.

Am 30.05.2006 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin mit, er habe das Erbe seines Vaters angetreten und aus einer Lebensversicherung circa 2.600 EUR erhalten, die er bereits ausgegeben habe. Im Rahmen weiterer Ermittlungen wurde bekannt, dass zur Erbschaft ein Bausparvertrag gehört. Laut Mitteilung der Bausparkasse T AG vom 02.08.2006 bestand am 31.07.2006 ein Sparguthaben von 2.797,77 EUR. Das Sparguthaben ist bisher nicht ausgezahlt worden. Aus einer durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers erstellten Aufstellung über erbfallbedingte Einnahmen und Ausgaben nach dem Tode des Erblassers vom 19.06.2006 ergibt sich ein Überschuss von 3.460,17 EUR.

Mit Bescheid vom 03.08.2006 zeigte die Antragsgegnerin die Überleitung der Rückzahlungsansprüche aus dem Bausparvertrag an. Der Antragsteller erhielt eine Durchschrift der Überleitungsanzeige an die Bausparkasse T AG vom selben Tage. Darin werden sämtliche Ansprüche des Antragstellers gegen die Bausparkasse auf Auszahlung vertraglicher Ansprüche aus dem konkret benannten Bausparvertrag, auf Auszahlung der Erbmasse sowie auf Wertersatz, soweit sie sich aus den §§ 145 ff. und §§ 1992 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit den Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) ergeben, übergeleitet.

Mit Widerspruchschreiben vom 09.08.2006 vertrat der Antragsteller die Auffassung, es lasse sich eine pflichtgemäße Ermessensausübung, insbesondere eine Abwägung des Interesses des Antragstellers an der Bausparsumme mit dem öffentlichen Interesse an der Anspruchsüberleitung nicht erkennen. Die Überleitung des Anspruchs auf die volle Bausparsumme sei offensichtlich tatbestands- und damit rechtswidrig. Die Gewährung der Sozialhilfe wäre auch erforderlich, wenn der Bausparvertrag früher ausgezahlt worden wäre. Bei der Forderung gegen die Bausparkasse handele sich um Vermögen und nicht um Einkommen. Durch die Kündigung werde das angesparte Vermögen auszahlungsreif, dies ändere aber nichts an der Rechtsnatur als Vermögen. Dem Antragsteller stehe ein Vermögensfreibetrag von 2.600 EUR zu. In Höhe dieses Freibetrages hätte eine Überleitung nicht erfolgen dürfen. Im Zeitpunkt der Fälligkeit der Bausparsumme durch Kündigung des Vertrages sei der Antragsteller mittellos und Forderungen der Stadt Münster sowie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ausgesetzt. Auch Betreuungskosten für die gesetzliche Betreuung i...

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