Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe für einen erwerbsfähigen Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Unterfällt ein erwerbsfähiger Unionsbürger dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2, so ist er dem Grunde nach nicht leistungsberechtigt nach dem SGB 2. Dies hat zur Folge, dass er gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 SGB 12 von Leistungen des SGB 12 nicht ausgeschlossen ist.

2. Damit steht ihm ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt als Ermessensleistung nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB 12 zu. Bei einer Dauer des Aufenthalts von mehr als einem Jahr ist das Ermessen des Sozialhilfeträgers auf Null reduziert.

3. Scheidet im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage aus, so ist durch eine Folgenabwägung zu entscheiden. Wegen des existenzsichernden Charakters der Sozialhilfeleistungen fällt diese zugunsten des Antragstellers aus.

4. Sobald der Unionsbürger den Status eines Arbeitnehmers i. S. des Gemeinschaftsrechts der Europäischen Union erlangt hat, entfällt der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2; der Antragsteller unterfällt dann dem Regime des SGB 2.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 27.01.2016 geändert. Die Beigeladene wird verpflichtet, dem Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des Regelbedarfs für die Zeit vom 16.01.2016 bis zum 30.06.2016, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch für das Beschwerdeverfahren.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt X, C, bewilligt.

 

Gründe

I.

Der im Jahr 1975 geborene Antragsteller ist griechischer Staatsbürger. Er lebt seit Februar 2013 in der Bundesrepublik Deutschland. In der Zeit von März 2013 bis Oktober 2015 war er mit Unterbrechungen geringfügig beschäftigt (04.03. bis 08.08.2013; 03.02. bis 29.08.2014; 01.02. bis 15.05.2015; 06.07. bis 15.07.2015) und bezog Leistungen nach dem SGB II. Das letzte Beschäftigungsverhältnis endete durch arbeitgeberseitige Kündigung. In der Zeit vom 21.04. bis zum 31.10.2015 bezog er Leistungen nach dem SGB II vorläufig aufgrund eines Beschlusses des SG Detmold vom 08.05.2015. Auf den Antrag vom 05.10.2015, ihm über den 31.10.2015 Leistungen weiter zu bewilligen, forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, ihm weitere Unterlagen - insbesondere die Bescheinigung der Agentur für Arbeit, ob die Arbeitslosigkeit durch eine Kündigung selbstverschuldet gewesen sei - vorzulegen. Diese Bescheinigung, ausgestellt am 22.12.2015, legte er am selben Tag beim Antragsgegner vor; danach handelte es sich um eine unverschuldete Arbeitslosigkeit.

Am 04.01.2016 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Detmold (SG) um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm den Regelbedarf ("Regelsatz") nach dem SGB II zu gewähren und den Weiterbewilligungsantrag sofort zu bescheiden. Er hat eidesstattlich versichert, absolut mittellos zu sein.

Mit Bescheid vom 13.01.2016 hat der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen für die Zeit vom 01.11.2015 bis zum 15.01.2015 bewilligt. Eine Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 16.01.2016 komme nicht in Betracht, da der Antragsteller keinen Arbeitnehmerstatus mehr habe. Die letzte Beschäftigung habe am 15.07.2015 geendet. Der Antragsteller könne ab dem 16.01.2016 Leistungen nach dem SGB XII bei der Stadt C beantragen.

Mit Beschluss vom 19.01.2016 hat das Sozialgericht die Stadt C beigeladen. Diese hat vorgetragen, nach der bestehenden Rechtslage habe der Antragsteller - anders als das Bundessozialgericht es in seinen Urteilen vom 03.12.2015 vertrete - keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII. Leistungsanträge von Unionsbürgern lehne die Beigeladene bis auf weiteres regelmäßig ab.

Mit Beschluss vom 27.01.2016 hat das Sozialgericht die Beigeladene dazu verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 16.01.2016 bis zum 30.06.2016, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Gegen den am 01.02.2016 zugestellten Beschluss hat die Beigeladene am 26.02.2016 Beschwerde erhoben. Sie folgt der Rechtsprechung des BSG nicht und bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Beschlüsse des SG Dortmund vom 11.02.2016 (S 35 AS 5396/15 ER), des SG Berlin vom 11.12.2015 (S 149 AS 7191/13) und des LSG Mainz vom 11.02.2016 (L 3 AS 668/15 B ER).

Die Beigeladene und Beschwerdeführerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 27.01.2016 aufzuheben und den Antrag auf einstweiligen Rechtschutz abzulehnen.

Der Antragsteller und der Beschwerdegegner beantra...

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