Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Kinder eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers in Ausbildung und deren die elterliche Sorge ausübenden Elternteil

 

Orientierungssatz

1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 erfasst nicht den Unionsbürger, der über ein materielles Aufenthaltsrecht verfügt. Art. 10 EUV 492/11 verleiht Kindern eines Arbeitnehmers ein eigenes Recht auf Zugang zum Schulunterricht und damit ein autonomes, d. h. nicht vom Aufenthaltsrecht ihrer Eltern abhängiges, eigenständiges Aufenthaltsrecht.

2. Die einmal erworbenen Ausbildungs- und Aufenthaltsrechte der Kinder bestehen unabhängig von den Voraussetzungen ausreichender Existenzmittel sowie eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes und sind autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, welche die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln (BSG Urteil vom 3. 12. 2015, B 4 AS 43/15 R).

3. Jeder Mitgliedstaat der EU ist im Bereich des Unterrichts verpflichtet, die Gleichbehandlung der Kinder der in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, mit seinen eigenen Staatsangehörigen sicherzustellen.

4. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz gilt auch für den sorgeberechtigten Elternteil, der sein Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltsrecht seines Kindes aus Art. 10 EUV 492/11 ableitet.

 

Tenor

Auf die Beschwerden des Antragstellers zu 1) wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 02.08.2017 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers zu 1) gegen den Bescheid vom 29.06.2017 wird angeordnet. Dem Antragsteller zu 1) wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. Q aus L beigeordnet. Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 1) in beiden Rechtszügen.

Dem Antragsteller zu 1) wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. Q aus L beigeordnet. Die Anträge der Antragstellerin zu 2) und des Antragstellers zu 3) auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren werden abgelehnt.

 

Gründe

I.

Der am 00.00.1970 geborene Antragsteller zu 1) ist mit der am 00.00.1970 geborenen Antragstellerin zu 2) verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn, der Antragsteller zu 3), ist am 00.00.2002 geboren und besucht die Schule. Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige.

Im Dezember 2015 reisten die Antragsteller in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 06.12.2016 war der Antragsteller zu 1) als Pflegehelfer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde arbeitgeberseitig fristlos gekündigt. Die Antragstellerin zu 2) übte keine Erwerbstätigkeit aus.

Mit Bescheid vom 08.11.2016 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.11.2016, 12.12.2016 und 10.01.2017 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.10.2016 bis 30.09.2017.

Mit Bescheid vom 29.06.2017, adressiert an den Antragsteller zu 1), hob der Antragsgegner die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit ab 07.06.2017 unter Berufung auf §§ 40 Abs. 1 und 2 SGB II, 330 Abs. 3 SGB III, 48 Abs. 1 S. 2 SGB X auf. Es sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten, da der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II eingreife. Mit weiterem Bescheid vom 28.06.2017, adressiert an den Antragsteller zu 1), hob der Antragsgegner die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.06.2017 bis zum 30.06.2017 ganz auf und forderte 457,75 Euro vom Antragsteller zu 1) sowie 311,41 Euro vom Antragsteller 3) zurück. In dem Bescheid wird angegeben, er richte sich Bescheid an den Antragsteller zu 1) sowie den Antragsteller zu 1) in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter des Antragstellers zu 3). Mit weiterem Bescheid vom 28.06.2017, adressiert an die Antragstellerin zu 2), hob der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.06.2017 bis zum 30.06.2017 auf und forderte von der Antragstellerin zu 2) 457,75 Euro zurück. Der Antragsgegner stellte die Zahlungen an die Antragsteller mit Wirkung zum 01.07.2017 ein.

Mit Bescheid vom 06.07.2017 lehnte der Antragsgegner den Leistungsantrag des Antragstellers zu 1) vom 29.06.2017 ab. Er habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, weil er allein ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche innehabe. Ausweislich der bei Gericht vorliegenden und nur teilweise paginierten Verwaltungsakte des Antragsgegners legte der Antragsteller zu 1) hiergegen keinen Widerspruch ein.

Die Widersprüche des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) gegen die Bescheide vom 2...

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