Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20.12.2021 aufgehoben.

 

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen einen Aussetzungsbeschluss.

Der am 00.00.1954 geborene Kläger beantragte am 15.02.2016 die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen Misshandlungen während seiner Aufenthalte im Kinderheim U in A von 1959 bis 1961 sowie im K Haus in F von 1967 bis 1976 und machte folgende Angaben: "Kinderheim -U, A. Folter, Misshandlungen, Freiheitberaubung. Schwester S, Schw. E. K-Haus, F. Versuchskaninchen - Medikamente (Hervorhebung durch den Senat), Folter, Misshandlungen- Freiheitberaubung, Schläge, Ausbeutung. ½ Jahr Schneiderei, 2 Jahre Schreinerei, 2 Jahre Schreinerei, 48 Std. Woche Taschengeld". Zudem wies er darauf hin, dass in den 1960er Jahren auf Veranlassung der Pharmaindustrie Medikamententests an den Heimkindern vorgenommen worden sein sollen.

Der Beklagte zog die Schwerbehindertenakte und die Rentenakte des Klägers, die Bewohnerakte des K Haus, Unterlagen des U-Heims und ärztliche Berichte bei und holte eine Sachverhaltsschilderung des Klägers ein.

Mit Bescheid vom 30.11.2017 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Er habe keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). In der Begründung führte der Beklagte u.a. aus, der Kläger habe Versorgung für die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung beantragt, die er nach seinen Angaben "zwischen 1959 und 1961 bzw. 1967 und 1976" erlitten habe. Der Kläger sei zwar Opfer von Gewalttaten im Sinne des § 1 OEG geworden, es ließen sich jedoch keine dadurch verursachten gesundheitlichen Schädigungen nachweisen.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren zog der Beklagte weitere ärztliche Unterlagen bei und hörte den Kläger persönlich an. U.a. wies dieser darauf hin, er habe vom Nervenarzt T während der Unterbringung im K Haus Medikamente verordnet bekommen und sei zwei Jahre mit Medikamenten "zugedröhnt" worden. Sodann wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.2019 zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger am 13.09.2019 Klage zum Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben. Nach Durchführung eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts hat das SG den Beklagten um Mitteilung gebeten, ob die vom Kläger geschilderte missbräuchliche Medikamentenverabreichung im K Haus vom angefochtenen Bescheid umfasst sei und auf die Ausführungen des Klägers im Antragsverfahren hingewiesen.

Der Beklagte hat daraufhin mitgeteilt, dass nach Rücksprache mit dem Fachreferat die behaupteten Medikamentenmissbräuche nicht von den streitgegenständlichen Bescheiden erfasst seien. Das SG hat den Beteiligten sodann seine Absicht mitgeteilt, das Verfahren auszusetzen, da der angeführte Medikamentenmissbrauch nicht von den streitgegenständlichen Bescheiden umfasst sei.

Der Kläger hat um Fortgang des Verfahrens gebeten.

Mit Beschluss vom 20.12.2021 hat das SG das Verfahren bis zur Feststellung des Beklagten, ob die vom Kläger angeführten Medikamentenmissbräuche während seines Aufenthaltes im K Haus als Taten im Sinne des OEG anzuerkennen sind, ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger stütze sein Klagebegehren insbesondere auf Geschehnisse im K Haus in F in den 1960er Jahren, speziell auch auf an ihm durchgeführte Medikamententests. Der Beklagte habe im gerichtlichen Verfahren klargestellt, dass die vom Kläger behaupteten Medikamentenmissbräuche nicht von den streitgegenständlichen Bescheiden erfasst seien.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 23.12.2021 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 24.01.2022, einem Montag, Beschwerde erhoben. Die Aussetzung sei nicht nachvollziehbar. Der Beklagte habe bereits Zeit für Ermittlungen hinsichtlich etwaiger anderer Missbrauchstatbestände gehabt.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

Der Beklagte hat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er halte das Aussetzen des Verfahrens für sachdienlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss ist nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. § 172 Abs. 2 SGG greift nicht ein, da die Entscheidung des Gerichts über die Aussetzung des Verfahrens keine prozessleitende Verfügung im Sinne dieser Regelung darstellt (allg. Meinung, vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 114 Rn. 9; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 172 Rn. 3 m.w.N.). Sie wurde zudem fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG).

Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach der allein denkbaren Regelung des § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG sind vorliegend nicht erfüllt.

Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand ...

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