Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme von Kosten der Unterkunft im Fall des Umzugs in eine unangemessene Wohnung
Orientierungssatz
1. Es fehlt an dem zur Bewilligung von einstweiligem Rechtschutz erforderlichen Anordnungsgrund für die Zusicherung zur Übernahme der Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB 2, wenn der Leistungsberechtigte den Umzug im Wege der Selbsthilfe selbst durchgeführt hat.
2. Im Fall des Umzugs in eine unangemessene Wohnung steht dem Grundsicherungsträger nach § 22 Abs. 6 S. 1 SGB 2 ein Ermessen sowohl bezüglich des "Ob" als auch des "Wie" der Leistungserbringung zu. Voraussetzung eines gebundenen Anspruchs ist immer, dass sich die neuen Unterkunftskosten in den Grenzen der abstrakten Angemessenheit halten (BSG Urteil vom 6. 8. 2014, B 4 AS 37/13 R).
Tenor
Die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.10.2017 wird ausgesetzt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Antragsgegners nicht zu erstatten.
Gründe
Die Entscheidung beruht auf § 199 Abs. 2 SGG. Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
Der zulässige Aussetzungsantrag ist begründet.
Im Rahmen des bei der Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG auszuübenden Ermessens (BSG, Beschluss vom 08.12.2009 - B 8 SO 17/09 R m.w.N.; LSG NRW, Beschluss vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER mit Zusammenfassung des Meinungstandes; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 199 Rn. 8 m.w.N.; abweichend BSG, Beschluss vom 06.08.1999 - B 4 RA 25/98 B) sind die Interessen des Gläubigers an der Vollziehung des Titels mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges leisten zu müssen, abzuwägen. Zu gewichten sind daher die Folgen einer Ablehnung der Vollstreckungsaussetzung bei nachfolgender Aufhebung des angefochtenen Beschlusses einerseits und die Folgen einer Stattgabe des Aussetzungsantrages bei nachfolgender Zurückweisung der Beschwerde andererseits (Schmidt, a.a.O., § 199 Rn. 8 m.w.N.). Bei der Abwägung ist der in § 154 Abs. 2 SGG bzw. § 175 S. 1 SGG zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen, Berufungen bzw. Beschwerden in der Regel keine aufschiebende Wirkung zuzumessen. Diese gesetzliche Wertung legt nahe, eine Aussetzung nur in Ausnahmefällen zuzulassen, wenn das Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (BSG, Beschluss vom 08.12.2009 - B 8 SO 17/09 R).
Bei der Abwägung der Interessen des Antragstellers, die Nachteile, die für ihn regelmäßig mit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel verbunden sind, abzuwenden mit den Interessen des Antragsgegners auf Erhalt von Umzugskosten i.H.v. 2.927,40 EUR überwiegen die Interessen des Antragstellers. Nach summarischer Prüfung ist offen, ob eine Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch auf Verpflichtung des Antragstellers auf Übernahme von Umzugskosten i.H.v. 2.927,40 EUR glaubhaft gemacht ist.
Nach Rechtsprechung des Senats besteht kein Anordnungsgrund auf Verpflichtung der Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 6 SGB II nicht mehr, wenn ein Leistungsberechtigter einen Umzug im Wege der Selbsthilfe durchgeführt hat. Ob und in welchem Umfang in einem solchen Fall die von einem Leistungsberechtigten verursachten Kosten vom Grundsicherungsträger als Leistungen nach dem SGB II zu übernehmen sind, kann der Abklärung im nachfolgenden Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (Beschlüsse des Senats vom 23.03.2017 - L 19 AS 430/17 B ER und vom 29.03.2017 - L 19 AS 552/17 B ER). Vorliegend ist der Antragsgegner in seine neue Wohnung X 00, E umgezogen.
Nach § 22 Abs. 6 S. 2 SGB II soll die Zusicherung zur Übernahme der Umzugskosten erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Als Soll-Vorschrift ist diese Norm Ausdruck eines Regelermessens, d.h. der Grundsicherungsträger hat die Zusicherung bei Vorliegen der Voraussetzungen zu erteilen. Ein Ermessen wird ihm dagegen erst eröffnet, wenn eine vom Regelfall abweichende atypische Fallkonstellation vorliegt. Voraussetzung möglicher gebundener Ansprüche ist aber stets, dass sich die neuen Unterkunftskosten in den Grenzen der abstrakten Angemessenheit halten (BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R -, Rn. 19 juris). Vorliegend spricht mehr dafür als dagegen, dass Kosten der neuen Wohnung unangemessen sind.
Auf den Wert des § 12 WoGG + 10% Sicherheitszuschlag als Angemessenheitsgrenze kann erst abgestellt werden, wenn ein sog. Erkenntnisausfall vorliegt. Ein solcher ist erst dann gegeben, wenn kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen vorliegt und der Grundsicherungsträger nicht in der Lage ist, dem Gericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf. eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen (BS...