Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz gegen die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen. Zulässigkeit einer Zwischenregelung zur Vermeidung schwerer unzumutbarer Nachteile. Anwendung der zu §§ 80, 80a und 123 VwGO entwickelten Grundsätze. Regelungsanordnung. Anordnungsgrund

 

Orientierungssatz

1. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch im Antragsverfahren nach §§ 80, 80a und 123 VwGO Zwischenregelungen dann statthaft sind, wenn der Antragsteller sonst unzumutbar schweren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre. Durch das am 2.1.2002 in Kraft getretene 6. SGGÄndG (juris: SGGÄndG 6) ist der einstweilige Rechtsschutz im SGG in Anlehnung an §§ 80ff VwGO geregelt worden. Deshalb ist es gerechtfertigt, die zu §§ 80, 80a und 123 VwGO entwickelten Grundsätze auf das sozialgerichtliche Verfahren zu übertragen (vgl LSG Essen vom 23.8.2002 - L 10 B 12/02 KA ER = GesR 2003, 149).

2. Zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen.

3. Eine Tatsache ist unwahr, wenn sie im Zeitpunkt ihrer Verbreitung aus Sicht eines objektiven, durchschnittlichen Empfängers von der Realität abweicht.

 

Tenor

Dem Antragsgegner wird aufgegeben, es unter Androhung eines in jedem Fall der Wiederholung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungsgeld bis zu sechs Monaten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens L 11 KA 3/10 B ER zu unterlassen, die nachfolgend wiedergegebenen Äußerungen zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen,

a) "Stattdessen drängen Hausärzte und auch die Allgemeine Ortskrankasse hier in Baden-Württemberg uns Kinder- und Jugendärzte in einen Vertrag, der keinerlei kindgerechte Leistungen beinhaltet" und/oder

b) "Der Vergleich mit dem bayerischen PzV zeigt die mangelnde Berücksichtigung der kinder- und jugendmedizinischen Inhalte." und/oder

c) "Diese (Allgemeinmediziner) können in der Regel keine kindgerechte Praxisausstattung vorweisen. Säuglingswaage, Wärmelampen, altersgerechte Manschetten oder pädiatrische Notfallkoffer - all diese Geräte sind Hausarztpraxen kaum vorhanden."

 

Gründe

Der Senat erlässt die tenorierte Zwischenregelung, weil ansonsten der durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebotene effektive Rechtsschutz nicht gewährleistet ist. Ob und inwieweit die Beschwerde zulässig und begründet sind, bleibt der verfahrensbeendenden Entscheidung vorbehalten.

1. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch im Antragsverfahren nach §§ 80, 80a und § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Zwischenregelungen dann statthaft sind, wenn der Antragsteller ohne die Zwischenregelung unzumutbar schweren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn auf andere Weise der durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotene effektive Rechtsschutz nicht gewährleistet ist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.03.2010 - 11 S 11.10 -; OVG Thüringen, Beschluss vom 03.05.2002 - 4 VO 48/02 -; VGH Hessen, Beschluss vom 04.04.2000 - 12 TZ 577/00 -; OVG Berlin, Beschluss vom 03.02.1998 - 8 S 184.97 -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.07.1997 - B 2 S 317/97 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.07.1994 -18 E 249/94 -; OVG Saarland, Beschluss vom 15.12.1992 - 2 W 36/92 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 10.03.1988 - Bs V 10/88 -; vgl. auch Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Auflage 2004, § 80 Rdn. 54; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage 2009, § 80 Rdn. 170). Die sozialgerichtliche Rechtsprechung ist dem gefolgt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.01.2010 - L 25 AS 1831/09 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2008 - L 11 KR 4810/08 ER-B -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.08.2002 - L 10 B 12/02 KA ER - vgl. auch Frehse in Jansen, SGG, 3. Auflage, 2009, § 155 Rdn. 6 b). Eine derartige Zwischenregelung wird dann als sachgerecht angesehen, wenn jedenfalls auf den ersten Blick eine offensichtliche Aussichtslosigkeit des auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichteten Begehrens nicht feststellbar ist (OVG Saarland, Beschluss vom 15.12.1992 - 2 W 36/92 -). Sie kann auch noch im Beschwerdeverfahren ergehen (OVG Thüringen, Beschluss vom 25.02.1999 - 4 ZEO 1076/97 -).

Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Durch das am 02.01.2002 in Kraft getretene 6. SGG-ÄndG (BGBl. I S. 2144 ff.) ist der einstweilige Rechtsschutz im SGG in Anlehnung an §§ 80 ff. VwGO geregelt worden. Dies rechtfertigt es, die zu §§ 80, 80a, 123 VwGO entwickelten Grundsätze auf das sozialgerichtliche Verfahren zu übertragen (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.08.2002 - L 10 B 12/02 KA ER - m.w.N.).

2. Ausgehend hiervon ergibt sich:

a) Die Antragstellerin hat die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 07.12.2009 am 11.01.2010 beim Senat anhängig gemacht. Zwischenzeitlich haben die Beteiligten weiter umfangreich zur...

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