Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Grundsicherungs- bzw. Sozialhilfeleistungen an einen Ausländer durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes voraus, d. h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die besondere Eilbedürftigkeit ist glaubhaft zu machen.
2. Dies ist nur dann der Fall, wenn eine Eilbedürftigkeit i. S. einer dringenden und gegenwärtigen Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht, gegeben und eine einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile geboten ist. Solange die weitere Unterkunft in einem Obdachlosenheim, in dem der Hilfebedürftige untergebracht ist, trotz Rückstandes der Nutzungsgebühr nicht gefährdet ist, fehlt es am erforderlichen Anordnungsgrund.
3. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins aus Art. 1 GG ist in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip sowohl vom Grundsicherungs- als auch vom Sozialhilfeträger zu beachten. Es beansprucht Geltung für jeden Nichtdeutschen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem jeweiligen Aufenthaltsstatus. Hält sich der eine für unzuständig bzw. lehnt er die Gewährung von Leistungen ab, so hat er den Leistungsantrag an den anderen Leistungsträger weiterzuleiten.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 11.02.2011 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der am 00.00.1982 geborene Antragsteller besitzt die polnische Staatsangehörigkeit. Er hält sich seit 1988 in der Bundesrepublik auf. Mit Schreiben vom 17.03.2009 teilte die Stadt C als zuständige Ausländerbehörde dem Antragsteller mit, dass sie auf Maßnahmen zur Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet verzichte.
Bis zum 26.02.2004 bezog der Antragsteller Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. In der Zeit vom 15.10.2004 bis 17.01.2007, vom 23.03. bis 20.04.2007 und vom 13.11.2007 bis 01.06.2010 war er inhaftiert. Seit dem 08.06.2010 wohnt der Antragsteller in der Obdachlosenunterkunft der Stadt P gegen eine Nutzungsgebühr von 89,48 EUR mtl ... Durch Beschluss des Amtsgerichts S vom 23.12.2010 wurde für den Antragsteller ein Betreuer für den Aufgabenkreis "Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung im Rahmen der Gesundheitsfürsorge, Wohnungsangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten, Vertretung bei Behörden und Ämtern, Befugnis zum Empfang von Post" bestellt.
Am 07.11.2010 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG) beim Kreis S. Mit Schreiben vom 21.12.2010 teilte der Kreis S dem Antragsteller mit, dass eine Entscheidung über den Antrag erst nach urlaubsbedingter Abwesenheit des Sacharbeiters im Januar 2011 erwartet werden könne. Am 12.01.2011 erteilte dieser dem Antragsteller eine Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU, wonach der Antragsteller zur Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsberechtigung-EU benötigt. Am 08.03.2011 erteilte die Bundesagentur für Arbeit dem Antragsteller eine unbefristete Arbeitsberechtigung-EU für eine berufliche Tätigkeit jeder Art.
Am 04.06.2010 beantragte der Antragsteller bei der Rechtsvorgängerin des Antragsgegners (nachfolgend: Antragsgegner) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Durch bestandskräftigen Bescheid vom 23.06.2010 versagte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nach §§ 66, 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).
Am 16.08.2010 beantragte der Antragsteller erneut Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Durch Bescheid vom 07.12.2010 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Der Antragsteller habe weder einen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II in der Bundesrepublik noch sei er erwerbsfähig i.S.v. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 Abs. 2 SGB II. Aufgrund des derzeit ungeklärten Aufenthaltsstatus und des fehlenden Passes sei die Erteilung der Arbeitsgenehmigung nicht möglich. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, den der Antragsgegner durch Widerspruchsbescheid vom 23.03.2011 zurückwies. Hiergegen erhob der Antragsteller am 29.04.2011 Klage, S 22 AS 995/11, mit dem Begehren, ihm Leistungen nach dem SGB II ab Juni 2010 zu gewähren.
Durch Bescheid vom 23.03.2011 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller aufgrund eines Antrags vom 12.01.2011 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 359,00 EUR mtl für die Zeit vom 12.01. bis 30.04.2011 nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Durch weiteren Bescheid vom 18.04.2011 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 364,00 EUR mtl für die Zeit vom 01.05. bis 31.10.2011.
Am 23.12.2010 hat der An...