Entscheidungsstichwort (Thema)
Impfschadensrecht. Mehrfachschutzimpfung im Säuglingsalter. Gesundheitsschädigung. Epilepsie bei West-Syndrom. Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Kannversorgung. sozialgerichtliches Verfahren. mehrere Anträge nach § 109 SGG
Orientierungssatz
1. Zu den Voraussetzungen für die Gewährung von Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (juris: IfSG) wegen der infolge einer Schutzimpfung erlittenen gesundheitlichen Schädigung (hier: Epilepsie bei West-Syndrom) als Pflichtleitung gemäß § 60 Abs 1 iVm § 61 S 2 IfSG sowie als sog Kannversorgung nach § 60 Abs 1 iVm § 61 S 1 IfSG.
2. In formeller Hinsicht muss ein Antrag auf die Anhörung eines weiteren Arztes des Vertrauens nach § 109 SGG klar und unmissverständlich gestellt sein (vgl BSG vom 23.10.1957 - 4 RJ 142/57 = SozR Nr 8 zu § 109 SGG). Zur inhaltlichen Begründung eines solchen Anhörungsverlangens bedarf es, wenn wie hier bereits vom Antragsrecht nach § 109 SGG Gebrauch gemacht worden ist, der Darlegung besonderer Umstände.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.11.2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) im Streit.
Der am 00.00.1995 geborene Kläger erhielt im Säuglingsalter folgende Impfungen jeweils als Mehrfachschutzimpfungen: am 01.04.1996 gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Haemophilus influenzae Typ b (HIB), am 03.05.1996 gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis ("DPT") sowie am 03.06.1996 gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und HIB.
Im Juni 1996 beantragten die Eltern des Klägers wegen der Auswirkungen einer Epilepsie bei West-Syndrom die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach den damaligen §§ 51-54 Bundesseuchengesetz (BSeuchG). Das Anfallsleiden sei Folge der Schutzimpfungen. Es habe nach der ersten Impfung begonnen. Der Kläger sei unleidlich gewesen. Nach der dritten Schutzimpfung - drei Stunden nach Gabe des Medikamentes am 03.06.1996 - seien epileptische Anfälle, später ärztlich als Zeichen des West-Syndrom bestätigt, aufgetreten. Dazu berichtete der impfende Arzt Dr. T am 17.07.1996, dass die statomotorische und mentale Entwicklung des Klägers bis zum 01.04.1996 bei mehrfachen Kontrollen unauffällig gewesen sei. Am 03.05.1996 hätten die Eltern erstmals über Durchschlafstörungen beim Kläger berichtet. Anlässlich der U 5 sei eine Wesensveränderung mit leerem Blick und verstärkter psychomotorischer Unruhe aufgefallen. Der Kläger habe am 03.06.1996 eine statomotorische Unruhe aufgewiesen, keine Gegenstände fixiert, einen leeren Blick gehabt und kurzfristig die Augen verdreht. Es habe keine typischen Myoklonien gegeben und an den inneren Organen habe physikalisch kein Krankheitsbefund bestanden. Das Elektroenzephalogramm (EEG) vom 05.06.1996 habe eine kontinuierlich hochamplitudige polymorphe und langsame Aktivität mit multifokal eingestreuten Spitzenpotentialen wechselnder Fortleitung gezeigt, was dem Bild einer Hypsarrhythmie entspreche. Diagnose sei ein West-Syndrom (Blitz-Nick-Salaam = BNS-Leiden) gewesen. Der Kläger wurde vom 07.06.1996 bis 02.10.1996 in dem Kinderneurologischen H H der Kliniken der Landeshauptstadt E behandelt. Dessen Leiter, Prof. Dr. H, führte im Bericht vom 09.12.1996 aus, dass sich beim Kläger - nach einer bis auf den Verlauf der Schwangerschaft unauffälligen - Vorgeschichte, einer primär ungestörten Entwicklung und bei fehlenden Hinweisen auf eine hirnorganische Vorschädigung ein West-Syndrom entwickelt habe, das mangels organischer Auffälligkeiten als kryptogen einzustufen sei. Bis zum 5. Lebensmonat sei die frühkindliche Entwicklung des Klägers unauffällig gewesen. Seit Anfang Mai 1996 bestehe ein zunehmend deutlicherer Entwicklungsstillstand. Die Schädel-Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) sei unauffällig gewesen und habe keine cerebralen Fehlbildungen bei regelrechtem Hirnwindungsrelief und auch keine Atrophiezeichen gezeigt.
Auf Veranlassung des Versorgungsamtes erstattete Prof. Dr. F, I, am 01.02.1997 ein impfmedizinisches Gutachten. In der Beurteilung führte er aus, die bisher beschriebene "primär unauffällige Entwicklung" sei zu relativieren. Immerhin habe der Kläger wegen einer Früh-Hypoglykämie für sechs Tage stationär behandelt werden müssen. Bei Hypoglykämie könne auch gelegentlich ein Krampfanfall zu dieser Diagnose führen. Bei etwa 90 % aller BNS-Kranken seien organische Schäden im Gehirn zu finden, die beim Kläger jedoch durch die Computertomographie ausgeschlossen worden seien. Es könnten jedoch auch leichtere Schäden durch Sauerstoffmangel der kindlichen Frucht eingetreten sein, z. B. während der Cerclage-Operation. Prof. Dr. F stimmte der Beurteilung des Kinderneurologischen Zentrums E-H zu, wonach das BNS-Leiden als "kryptogen" einzustufen sei. Aus dem Bericht von Dr. T, der am 03.06.1996 (Tag der 3. DPT- und der 2. HIB-Impfung) Auffälligkeiten ...