Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung von Ghetto-Beschäftigungen als Beitragszeiten nach dem Gesetze zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Schaulen/Litauen
Orientierungssatz
1. Zum Vorliegen von Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung in einem Ghetto iS von § 1 Abs 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074) (hier: Beschäftigung im Ghetto Schaulen/Litauen in der Zeit von Mai 1942 bis Juni 1943).
2. Nach der Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten Gebieten (SVbesGebieteV) vom 4.8.1941 (RGBl I 1941, 486) unterlagen nur die in Litauen beschäftigten deutschen Staatsangehörigen und deutschen Volkszugehörigen den Vorschriften der RVO. Auch durch die Verordnung des Generalkommissars in Kauen über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 1.5.1943 wurde die "einheimische" Bevölkerung, zu der alle nichtdeutschen Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge mit Ausnahme der Ostarbeiter und nicht im Reichskommissariat beheimateten Ausländer gehörten, nicht in die RVO miteinbezogen. Vielmehr war die Ersetzung des bisherigen sozialen Sicherungssystems für die "einheimische" Bevölkerung in Litauen, eingeführt durch die Sowjetunion, durch den Aufbau einer eigenständigen Sozialversicherung beabsichtigt, die nicht der Reichsversicherung an- oder eingegliedert wurde (vgl BSG vom 1.12.1966 - 4 RJ 401/64 und BSG vom 17.5.1963 - 4 RJ 305/63 = SozR Nr 2 zu AufbauVO-Allg).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.11.2005 wird zurückgewiesen. Kosten der Klägerin werden auch im Berufungsverfahren nicht erstattet. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Zahlung von Altersruhegeld (ARG) unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die 1932 geborene Klägerin ist Jüdin und anerkannte Verfolgte nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Nach eigenen Angaben gehörte sie dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) nicht an. Seit September 1941 hielt sie sich im Ghetto Schaulen (Litauen) auf. Im Juni 1944 wurde die Klägerin in das Konzentrationslager Stutthof deportiert. Im Januar 1945 wurde sie befreit. Sie hielt sich zunächst in der Sowjetunion und Polen und ab Januar 1946 in DP-Lagern auf. Im März 1947 wanderte die Klägerin nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit.
Im 1950 eingeleiteten Entschädigungsverfahren gab die Klägerin an, dass sie sich in der Zeit von August 1941 bis April 1944 im Ghetto Schaulen und in der Zeit von April 1944 bis Januar 1945 in verschiedenen Konzentrations- und Arbeitslagern aufgehalten habe (eidesstattliche Versicherung vom 28.11.1949). Sie erhielt eine Entschädigung für erlittenen Freiheitsschaden im Umfang von 41 Kalendermonaten.
Im 1955 eingeleiteten Verfahren auf Entschädigung für Schaden an Leben bei ihren Eltern erklärte die Klägerin in der eidlichen Erklärung vom 03.02.1955 u.a., dass ihre Eltern nach der Errichtung des Ghettos Schaulen zwangsweise täglich in der Pelzfabrik G hätten arbeiten müssen. Vom Jahre 1943 an hätten sie und ihre Geschwister in dieser Fabrik arbeiten müssen. Im Sommer 1944 sei sie zusammen mit ihren Eltern und zwei Geschwistern in das Konzentrationslager Stutthoff überstellt worden. Der Vater sei Pelzhändler gewesen und habe eine Fabrik für Seiden- und Wolltücher besessen.
Im 1963 eingeleiteten Verfahren auf Entschädigung eines Schadens an Körper oder Gesundheit gab die Klägerin unter dem 17.09.1962 an, dass nach der Besetzung der Stadt Schaulen durch die deutsche Armee ihr Leidensweg begonnen habe. Sie sei noch zu jung gewesen und habe zusammen mit ihrer Zwillingsschwester während der Kinderaktion versteckt leben müssen. Trotzdem sei sie in ständiger Angst gewesen, vernichtet zu werden. Sie habe trotz ihrer Jugend schwerste Zwangsarbeiten leisten müssen, habe ihre Eltern und die Schwester verloren. Desweiteren erklärte die Klägerin in der eidlichen Erklärung vom 16.09.1962, dass sie sich mit ihrer Zwillingsschwester während der Kinderaktion immer habe verstecken müssen und während der ganzen Zeit immer in Angst und Sorge gelebt habe. Nach der Kinderaktion habe sie trotz ihrer Jugend arbeiten müssen, sie habe in der Lederfabrik und am Graben gearbeitet. In Schaulen seien ihre Eltern und die Schwester wegtransportiert worden. Die Zeugin B bekundete, dass sie zusammen mit der Klägerin im Ghetto Schaulen inhaftiert gewesen sei. Während der Kinderaktionen sei die Klägerin versteckt gewesen, um nicht zur Vernichtung verschickt zu werden. Später habe sie trotz ihrer Jugend schon schwere Zwangsarbeiten leisten müssen. Sie habe ihre Eltern und Schwestern verloren und unbeschreiblich gelitten (eidliche Erklärung vom 16.09.1962). Die Zeugin T erklärte, das ...