Entscheidungsstichwort (Thema)

Anerkennung von Ghetto-Beschäftigungen als Beitragszeiten nach dem Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Kowno. Ghetto Smorgon

 

Orientierungssatz

1. Zum Vorliegen von Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung in einem Ghetto iS von § 1 Abs 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074) (hier: Beschäftigung im Ghetto Kowno bzw im Ghetto Smorgon mit Unterbrechungen in der Zeit von 1941 bis 1943).

2. Aus der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs 2 ZRBG (Bundestags-Drucksache 14/8583 S 6 und 14/8602 S 6) ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber über die in den §§ 20 WGSVG und 17a FRG geregelte Gleichstellung von vertriebenen Verfolgten mit anerkannten Vertriebenen hinaus Verfolgte in die gesetzliche Rentenversicherung als Berechtigte einbeziehen wollte, die wegen fehlender Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis oder fehlendem Erwerb von Beitragszeiten im Geltungsbereich der RVO außer den Beschäftigungszeiten in einem Ghetto keine weiteren berücksichtigungsfähigen Beitragszeiten oder Ersatzzeiten erworben, also durch die Verfolgungsmaßnahmen kausal keinen Schaden in der deutschen Rentenversicherung erlitten haben.

3. Ebenso kann aus der Begründung zu § 2 Abs 2 ZRBG nicht der Wille des Gesetzgebers entnommen werden, dass Verfolgte, die während der Verfolgungsmaßnahmen nicht dem Anwendungsbereich des WGSVG oder des FRG unterfielen, in die gesetzliche Rentenversicherung als Berechtigte miteinbezogen werden sollten. Vielmehr beschränkte sich der Wille des Gesetzgebers darauf, Berechtigte, die nach den Vorschriften von WGSVG und FRG während der Verfolgungsmaßnahmen berücksichtigungsfähige Versicherungszeiten durch eine Beschäftigung im Ghetto erworben hatten, den Erhalt von Leistungen aus diesen Zeiten zu ermöglichen.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.11.2005 wird zurückgewiesen. Kosten des Klägers werden auch nicht im Berufungsverfahren erstattet. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zahlung von Altersruhegeld (ARG) unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Der 1927 in T geborene Kläger ist Jude und Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Nach eigenen Angaben gehörte er nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) an. Der Kläger lebte bis Sommer 1942 in Smorgon, zuletzt im Ghetto. Der Ort Smorgon lag bis 1939 auf polnischem Staatsgebiet und ab dem 01.11.1939 auf sowjetischem Staatsgebiet. Im Sommer 1941 wurde Smorgon von der deutschen Wehrmacht erobert und dem Generalkommissariat Litauen (Reichskommissariat Ostland) zugeordnet. Im Sommer 1942 wurde der Kläger in ein Zwangsarbeitslager (ZAL) deportiert. Im Sommer 1944 floh der Kläger aus einem Zwangsarbeiterlager und lebte bis zum Einmarsch der sowjetischen Armee im Juli 1944 in der Illegalität. Der Kläger wanderte über Polen und Zypern 1948 nach Israel aus. Er erwarb die israelische Staatsangehörigkeit und war in Israel in der Zeit vom 01.04.1954 bis zum 31.12.1992 versicherungspflichtig beschäftigt.

Im 1956 eingeleiteten Entschädigungsverfahren gab der Kläger an, dass er vor dem Krieg in Smorgon gewohnt habe. Ab Sommer 1941 habe er sich in dem von der SS bewachten Ghetto Smorgon aufgehalten. Er habe einen Judenstern auf der Brust und dem Rücken getragen, die Verpflegung durch den Judenrat erhalten und Straßen- und Waldarbeiten verrichten müssen. Mitte 1942 sei er mit einem Bahntransport in das ZAL Zesmar überführt worden. Dort habe er im Straßenbau bei der Organisation Todt gearbeitet. Im Frühjahr 1943 sei sein Weitertransport per Auto in das ZAL Kachedores erfolgt, in dem er hinter Stacheldrahtverhau und unter Bewachung der SS und der Wehrmacht zeitweise in einer Baracke gewohnt, den Judenstern getragen und Arbeiten im Walde und beim Torf verrichtet habe. Ende 1943 sei er in das hinter Stacheldraht gelegene von SS bewachte ZAL Alexod-Kowno geschickt worden. Dort habe er auf dem Flughafen und beim Bau einer Eisenbahnlinie neben dem Flughafen gearbeitet. Zur Arbeitsstätte sei er täglich unter Bewachung geführt worden. Im Sommer 1944 sei er mit einem Bahntransport in das ZAL Kozlowa Ruda gekommen, in dem er mit Torfarbeiten beschäftigt gewesen sei. Von dort sei ihm die Flucht gelungen (eidesstattliche Erklärung vom 07.11.1955). Die Zeuginnen G und E erklärten in inhaltlich identischen eidesstattlichen Erklärungen vom 01.11.1955, dass der Kläger sich seit Sommer 1941 im Ghetto Smorgon aufgehalten, die Verpflegung durch den Judenrat erhalten und er Straßen- und Waldarbeiten verrichtet habe. Sie seien Mitte 1942 zusammen mit einem Bahntransport in das mit einem Stacheldrahtzaun versehene, von SS bewachte ZAL Zesmar überführt worden und hätten dort zusammen beim Straßenbau gearbeitet. Im Frühjahr 1943 seien sie gemeinsam im Auto ...

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