Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer. Unionsbürger. Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst c SGB 2. kein Aufenthaltsrecht aus Art 10 EUV 492/2011 bei Untergeordnetheit und Unwesentlichkeit der früheren Arbeitnehmertätigkeit. Europarechtskonformität und Verfassungsmäßigkeit der Leistungsausschlüsse gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst a oder b SGB 2. sozialgerichtliches Verfahren. keine notwendige Beiladung

 

Orientierungssatz

1. Der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst c ist nach Auffassung des Senats europarechtswidrig (vgl EuGH-Vorlage des LSG Essen vom 14.2.2019 - L 19 AS 1104/18 = info also 2019, 226).

2. Ein den Leistungsausschlüssen gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst a oder b SGB 2 entgegenstehendes, sich aus § 2 Abs 1 FreizügG/EU 2004 iVm Art 10 EUV 492/2011 ergebendes Aufenthaltsrecht von Kindern in Ausbildung und sorgerechtsausübenden Elternteilen kann nicht anerkannt werden, wenn die frühere berufliche Tätigkeit des ausländischen Staatsangehörigen im Inland von so untergeordneter und unwesentlicher Art war, dass eine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Art 45 AEUV nicht vorlag.

3. Die Leistungsausschlüsse gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst a oder b SGB 2 sind europarechtskonform und verfassungsgemäß.

4. Die sozialhilferechtlichen Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs 3 SGB 12 stellen gegenüber den beantragten Leistungen nach dem SGB 2 ein aliud dar und sind daher prozessual getrennte Streitgegenstände, sodass eine Beiladung des Sozialhilfeträgers nicht notwendig ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.01.2021; Aktenzeichen B 14 AS 25/20 R)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 06.09.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.03.2017 bis zum 31.08.2017.

Die am 00.00.1981 geborene Klägerin zu 1), ihr am 00.00.2003 geborener Sohn, der Kläger zu 2), sowie ihre am 00.00.2004 geborene Tochter, die Klägerin zu 3), sind bulgarische Staatsangehörige. Der Vater des Klägers zu 2) und der Klägerin zu 3) verstarb am 24.08.2006. Die Klägerin zu 1) ist seit dem 14.08.2012 wiederverheiratet, aber getrennt lebend.

Die Klägerin zu1) übte in Bulgarien keine Erwerbstätigkeit aus und verfügt über keine berufliche Ausbildung. Sie bezog eine bis zum 02.03.2016 befristete bulgarische Invaliditätsrente. Die territoriale ärztliche Expertenkommission für psychische Krankheiten, Sofia-Stadt, stellte am 11.03.2013 bei der Klägerin zu 1) einen (kontinuierliche) paranoide Schizophrenie mit erheblicher psychischer Belastung fest, die eine 71% dauerhaft verminderte Arbeitsfähigkeit bedingte. Einen Untersuchungstermin in Bulgarien im Jahr 2016 betreffend die Fortbewilligung der Rente nahm die Klägerin zu 1) nicht wahr.

Die Kläger sind nach eigenen Angaben am 25.04.2013 in das Bundesgebiet eingereist. Als Grund für die Einreise gab die Klägerin zu 1) an, dass sie ein besseres Leben erwartet und sie Hilfe gebraucht habe, um sich behandeln zu lassen. Sie habe eine Arbeit suchen wollen und die Kinder sollten eine Schule besuchen können. Von ihrem Ehemann habe sie sich getrennt. Zum Zeitpunkt der Einreise habe ihre Schwester sich in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten, ihre Mutter sei später nachgekommen. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, sei sie von einer Unterstützung durch die Stadt oder den Staat ausgegangen. Bei der Klägerin zu 1) ist ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Sie wird wegen Epilepsie und Schizophrenie behandelt.

Am 18.06.2013 meldeten sich die Kläger unter der Adresse T-straße 0 bei der Stadt L an; als Tag des Einzugs in die vorbezeichnete Wohnung vermerkte die Meldebehörde den 25.04.2013. Die Wohnung bewohnten die Kläger zusammen mit der Schwester der Klägerin zu 1). Die Kläger zu 2) und 3) besuchen ab dem Jahr 2014 durchgehend die Schule.

Am 05.09.2013 beantragten die Kläger erstmals Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 20.09.2013 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein. Der Beklagte zahlte im Jahr 2014 aufgrund beim Sozialgericht Köln rechtshängiger Klageverfahren sowie im Anschluss an ein von den Klägern geführtes Eilverfahren, S 25 AS 3709/13 ER, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht Regelleistungen an die Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache aus.

Am 25.11.2014 teilte die Klägerin mit, dass sie seit dem 01.11.2014 einer geringfügigen Beschäftigung nachgehe. Sie legte einen Arbeitsvertrag vom 15.10.2014 vor, wonach sie ab dem 01.11.2014 bei dem Zeugen U als Verkäuferin eingestellt wird. Das Bruttoarbeitsentgelt betrage monatlich 250,00 Euro und werde jeweils am 15. des Folgemonats gezahlt. Die Arbeitszeit betrage ca. 8 Stunden wöchentlich. Der Mitteilung waren eine Meldebescheinigung zur Sozialversicherung...

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