Entscheidungsstichwort (Thema)

deutsche gesetzliche Unfallversicherung. Zwangsmitgliedschaft. Verfassungsmäßigkeit. Europarechtskonformität

 

Orientierungssatz

Die Pflichtmitgliedschaft in der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung verstößt weder gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht noch gegen das Grundgesetz.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Entlassung aus der Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Klägerin betreibt seit dem 01.04.1997 ein Unternehmen im Gerüstbauergewerbe. Mit Bescheid vom 21.07.1997 stellte die Beklagte ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit für das Unternehmen fest. Mit Bescheid vom 22.07.1997 veranlagte die Beklagte die Klägerin in die Gefahrtarifstellen 11 (Kaufmännisches, technisches Personal), 10 (zum Unternehmen gehörendes Reinigungspersonal) und 02 (Gerüstbau, Gerüstverleih) ihres ab dem 01.01.1993 gültigen Gefahrtarifes.

Mit Schreiben vom 11.06.2004 und 14.06.2004 erklärte die Klägerin die "Kündigung der Zwangsmitgliedschaft" bei der Beklagten. Mit weiterem Schreiben vom 19.07.2004 erklärte die Klägerin nochmals die "Kündigung der Pflichtmitgliedschaft" mit Wirkung zum 31.12.2004 unter Fristsetzung zur schriftlichen Bestätigung der Wirksamkeit des Austritts bis zum 09.08.2004.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Bescheid vom 13.08.2004 mit, ein Bescheid über das Ende der Zuständigkeit für das Unternehmen könne erst erfolgen, wenn das Unternehmen gewerbe-rechtlich abgemeldet werde. Eine Beendigung der Zuständigkeit für das Unternehmen in Voraus sei nicht möglich.

Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie wolle die Absicherung ihrer Arbeitnehmer gegen die Risiken des Arbeitsunfalls und der Berufskrankheiten künftig privat vornehmen. Die Aufrechterhaltung der Pflichtmitgliedschaft verstoße gegen die Art. 49 ff, 81 ff des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) und gegen die Verfassung.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2004 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, das Begehren auf Entlassung aus der Pflichtmitgliedschaft erweise sich schon in tatsächlicher Hinsicht als unsubstantiiert, denn es sei nicht dargelegt und nachgewiesen, dass die Klägerin für ihre Arbeitnehmer einen den Regelungen des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) vollumfänglich entsprechenden Unfallversicherungsschutz gewährleisten und für die Zukunft sicherstellen könne. Eine Stattgabe des Antrages würde mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, Insbesondere des Verfassungsrechts, offensichtlich unvereinbar sein, zumal ein solches Handeln massig in die Grundrechte der betroffenen versicherten Arbeitnehmer eingreifen würde. Die gesetzlichen Grundlegen, die eine Versicherungspflicht mit freier Wahlmöglichkeit betreffend die Versicherung der Risiken von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ausschlössen, seien mit dem Recht der Europäischen Union und der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache C-218/00 (= EuGHE 2002, I 691 - INAIL) und dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.11.2003 (B 2 U 16/03 R - BSGE 91, 283 ff, = SozR 4 - 2700 § 150 Nr. 1) ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Aufrechterhaltung der gesetzlich festgelegten Einbeziehung des klägerischen Unternehmens in die deutsche gesetzliche Unfallversicherung gegen die Vorschriften der Art. 49 ff, 81 ff EGV verstoße. Auch ein Verstoß gegen das Grundgesetz (GG) liege nicht vor, denn alle bisher mit der gesetzlich festgelegten Einbeziehung von Unternehmen in die Unfallversicherung befassten Gerichte hätten die Vereinbarkeit der Vorschriften des SGB VII mit dem GG bejaht.

Mit der dagegen am 01.02.2005 beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Das Unfallversicherungsmonopol der Berufsgenossenschaften (BGen) verletze die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49, 50 EGV. Zudem sei die Tätigkeit der BGen als unternehmerische Betätigung zu bewerten und unterlege damit dem Wettbewerbsrecht der Art. 81 ff. EGV. Dies gelte auch angesichts der Entscheidung des EuGH zur Beurteilung der italienischen gesetzlichen Unfallversicherung INAIL. Die dortigen Kriterien seien - entgegen der Auffassung des BSG in dessen Urteil vom 11.11.2003 (aaO) - bei den BGen in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfüllt. Das BSG habe in dem Revisionsverfahren demnach die Pflicht zur Vorlage zum EuGH nach Art. 234 Abs. 3 EGV gehabt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.09.2007, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, abgewiesen.

Gegen das am 19.09.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.09.2007 Berufung eingelegt und sich im Wesentlichen auf ihren umfänglichen Vortrag aus dem Klageverfahren bezogen. Ergänzend trägt sie vor, soweit das BSG in seinem Urteil vom 20.03.2007 - B 2 U 9/06 R - ausführe, dass ein umlagefinanziertes Versicherungssystem...

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