Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. stationäre Unterbringung. Leistungserbringungsrecht. Bindung des örtlichen Sozialhilfeträgers an mit dem überörtlichen Sozialhilfeträger bestehende Vereinbarungen. subsidiär Leistungserbringung nach § 75 Abs 4 SGB 12
Orientierungssatz
1. Nach § 77 Abs 1 S 2 Halbs 2 SGB 12 sind sämtliche andere Träger der Sozialhilfe an eine von einem örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe getroffene Vereinbarung gebunden, unabhängig davon, ob sie diesem hinsichtlich der örtlichen bzw überörtlichen Trägerschaft gleichgeordnet sind, oder ob sie im gleichen Bezirk wie der vereinbarende Träger liegen.
2. Verneint man eine solche Bindungswirkung, ist im Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen des § 75 Abs 4 S 1 bis 3 SGB 12 zu prüfen.
Normenkette
SGB XII § 19 Abs. 3, § 13 Abs. 2, § 35 Fassung: 2003-12-24, § 53 Abs. 1 S. 1, § 54 Abs. 1 S. 1, §§ 55, 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Abs. 4 Sätze 1-3, §§ 76, 77 Abs. 1 S. 2, §§ 92a, 97 Abs. 1-3, § 98 Abs. 2, § 116 Abs. 2; SGG § 54 Abs. 1 Sätze 1, 4, Abs. 2 S. 1, §§ 56, 75 Abs. 1, § 95; SGB X §§ 31, 86; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; AG-SGB XII NRW § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, b; EinglHV §§ 2, 3 Nr. 2; SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1; SGB XI § 72 Abs. 2 S. 2; SGB VIII § 78e Abs. 1 S. 2; HeimG § 5 Abs. 8 Fassung: 2001-11-05
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24.10.2012 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 02.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2010 verpflichtet, die Kosten für die stationäre Unterbringung des Klägers beim Beigeladenen im Monat Januar 2008 in Höhe von 3.600,39 EUR, im Monat Februar 2008 in Höhe von 3.693,46 EUR und im Monat März 2008 in Höhe von 3.941,72 EUR, jeweils unter Anrechnung bereits dafür erbrachter Leistungen, zu tragen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge. Eine Kostenerstattung im Übrigen findet nicht statt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des beklagten Landkreises zur Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB XII für die Unterbringung in einer stationären Einrichtung der Eingliederungshilfe (nur mehr) für den Zeitraum von Januar bis März 2008.
Der am 00.00.1928 geborene Kläger leidet unter einem hirnorganischen Psychosyndrom nach langjährigem Alkoholkonsum mit schweren dissozialen und aggressiven Verhaltensauffälligkeiten sowie Verlust wesentlicher Teile der Sprachfähigkeit bei tertiärer Lues (progressive Paralyse). Vom Versorgungsamt wurde ihm ein Grad der Behinderung von 100 einschließlich der Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" zuerkannt. Er steht (auch schon während des streitigen Zeitraums) unter Betreuung (Bereiche: Gesundheits- und Heilmaßnahmen einschließlich stationärer Krankenhausaufenthalte, Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung einschließlich Entscheidungen über die Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen i.S.d. § 1906 Abs. 4 BGB). Willenserklärungen bei Gesundheits- und Heilmaßnahmen sowie der Aufenthaltsbestimmung bedürfen der Einwilligung des Betreuers.
Im noch streitigen Zeitraum erfüllte der Kläger in der Gesetzlichen Pflegeversicherung die Voraussetzungen der Pflegestufe I. Er verfügte mit Ausnahme einer monatlichen Altersrente von unter 800 EUR (und Pflegegeldleistungen aus der Gesetzlichen Pflegeversicherung) nicht über Einkommen oder Vermögen, welches nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII einzusetzen wäre.
Seine gesundheitlichen Einschränkungen machten schon in den 1990er Jahren intensive Betreuungsmaßnahmen bis hin zu stationären Krankenhausaufenthalten erforderlich. Bis April 1992 (Vollendung des 64. Lebensjahres am 26.04.1992) war er jedoch nicht stationär in einem Wohnheim untergebracht; auch erhielt er in der Zeit zwischen Vollendung des 64. und des 65. Lebensjahres (26.04.1992 und 26.04.1993) keine Eingliederungshilfe vom (damals noch zuständigen) überörtlichen Träger der Sozialhilfe, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).
Vor April 2002 lebte der Kläger längere Zeit allein in seiner eigenen Wohnung in I, wo er Leistungen der ambulanten psychiatrischen Pflege nach dem SGB V vom Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung erhielt. Am 19.04.2002 wurde er erstmalig in eine Wohngruppe (ebenfalls) in I aufgenommen, die von der Beigeladenen (seinerzeit noch A e.V.) betrieben wurde. Am 09.11.2005 übersiedelte er in die von der Beigeladenen getragene Wohngruppe E-straße 00 in H, wo er seither lebt.
Diese Wohngruppe in einem alten Hofgebäude mit Anbau bietet Platz für etwa zwölf überwiegend ältere Menschen mit geistigen Behinderungen und körperlichen Einschränkungen. Die Räumlichkeiten, die von der (Unter-)Wohngruppe bewohnt werden, welcher auch der Kläger angehört, befinden sich im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss des Hauptgebäudes, baulich getrennt von weiteren Räumlichkeiten für Personen, die Leistu...