Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Mehrsprachigkeit. Beherrschung der deutschen Schriftsprache
Orientierungssatz
Zur Frage, ob die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis bei einer Person, die eine fremdsprachige Schulausbildung abgeschlossen hat und sich in dieser Sprache schriftlich äußern kann, verlangt, daß die deutsche Sprache nicht nur wie eine Muttersprache gesprochen und gelesen wird, sondern daß auch die Fähigkeit vorliegen muß, deutsch zu schreiben.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Bewilligung eines Altersruhegeldes aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Umstritten ist, ob der Kläger als Angehöriger des deutschen Sprach- und Kulturkreises anzusehen ist.
Der am 1925 in B bei M in R geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und anerkannter Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Bis zum Jahre 1944 lebte er in seinem Geburtsort, wo er von 1932 bis 1938 oder 1939 die Volksschule besuchte. Von April 1944 bis 27.01.1945 war er nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Im Dezember 1946 wanderte er nach Israel aus, wo er im September 1947 eintraf.
Der Kläger besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.
Am 07.06.1990 beantragte er die Bewilligung von Altersruhegeld. Er gab an, von Juli 1940 bis März 1944 als Sägereiarbeiter in der staatlichen Holzsägerei in B versicherungspflichtig gearbeitet zu haben; auch sei er Angehöriger des deutschen Sprach- und Kulturkreises gewesen. Hierzu machte er folgende weitere Angaben: Bis zur Auswanderung habe er in seinem Herkunftsland Deutsch und Rumänisch in Wort und Schrift beherrscht. Im persönlichen Lebensbereich (in der Familie) habe er immer überwiegend Deutsch benutzt. Außerhalb der Familie sei ab 1933 überwiegend die rumänische Sprache gebraucht worden. Sein Vater habe im persönlichen Lebensbereich überwiegend deutsch gesprochen; daneben aber auch außerhalb des persönlichen Lebensbereichs Rumänisch und Ungarisch benutzt. Auch die Mutter habe im persönlichen Lebensbereich überwiegend die deutsche Sprache gebraucht. Der vom Kläger ausgefüllte Fragebogen enthält auf der Rückseite einen -- angeblich -- eigenhändig geschriebenen Lebenslauf in deutscher Sprache.
Die Beklagte veranlaßte eine Sprachprüfung des Klägers durch das Israelische Finanzministerium. Der Bericht des Sprachprüfers vom 22.09.1992 enthält die Feststellung, daß der Kläger Deutsch fließend und ungezwungen spreche und Deutsch mit vollem Verständnis lese. Er schreibe allerdings nicht Deutsch. Zusammenfassend führte der Sprachprüfer aus: Der aus M/Rumänien gebürtige Kläger spreche Deutsch fließend und ungezwungen wie eine Muttersprache. Er habe in gutem Deutsch berichtet, daß er aus B, einem Dorf unweit der damaligen polnischen Grenze stamme, das in unmittelbarer Nähe der Bucovina gelegen sei. Dieses Dorf habe nach seinen Angaben ca. 12.000 Einwohner gehabt, davon 2.000 Juden. Die jüdische Minderheit sei überwiegend deutschsprachig gewesen, untereinander sei hauptsächlich Deutsch gesprochen worden. Nur im Verkehr mit Rumänen und Ungarn sei die Landessprache benutzt worden. Die Umgangssprache im Elternhaus des Klägers sei vorwiegend Deutsch gewesen.
Die Beklagte befragte die vom Kläger benannten Zeugen C F T und L P, die in ihren Erklärungen ohne Datum übereinstimmend angaben, der Kläger habe im persönlichen Lebensbereich überwiegend Deutsch gesprochen.
Das Israelische Finanzministerium teilte der Beklagten unter dem 23.04.1995 auf Rückfrage mit, daß der Kläger im Rahmen des Verfahrens auf Bewilligung einer Rente nach dem israelischen Gesetz für Invaliden der NS-Verfolgungen die hebräische und jiddische Sprache als Muttersprache deklariert habe.
Daraufhin lehnte die Beklagte durch den Bescheid vom 04.08.1995, abgesandt am 11.08.1995 die Bewilligung einer Versichertenrente ab: Der Kläger habe keine in der deutschen Rentenversicherung anrechenbaren Zeiten zurückgelegt. Voraussetzung für die Berücksichtigung der von ihm in Rumänien zurückgelegten Zeiten sei die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Für die Zugehörigkeit sei entscheidend, daß sich der Verfolgte in seinem Denken und Fühlen sowie in seinem Verhalten, auch im Umgang mit anderen, der deutschen Sprache und Kultur mehr verbunden gefühlt habe als einem anderen Sprach- und Kulturkreis. Der Gebrauch oder allein die Kenntnis der deutschen Sprache reiche nicht aus. Zum Verwenden bzw. Beherrschen einer Sprache wie eine Muttersprache gehöre grundsätzlich auch das Schreiben. Der Kläger sei jedoch nicht in der Lage, die deutsche Schriftsprache zu gebrauchen. Außerdem habe er auch beim Amt für Invalidenrehabilitation in Tel Aviv 1957 Hebräisch und Jiddisch als Muttersprache angegeben.
Den dagegen am 13.09.1995 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 30.11.1995 zurück.
Der Kläger hat am 13.12.1995 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Er hat die Ansicht vertreten, daß sich aus dem Ergebnis des Sprac...