Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem Fahrer für Kurierdienste und Kleintransporte
Orientierungssatz
1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn eine Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis nach Weisungen erfolgt und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers nicht vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte und die freie Verfügung über die eigene Arbeitskraft gekennzeichnet.
2. Für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung spricht bei der Ausübung eines Gewerbes mit Tätigkeiten des Kurierdienstes und von Kleintransporten, wenn der Beauftragte auf Abruf für den Auftraggeber tätig ist und er dabei keine unternehmerischen Freiheiten in Bezug auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit besitzt.
3. Das Gleiche gilt, wenn für die zu verrichtende Tätigkeit ein bestimmter Stundensatz als Vergütung vereinbart ist.
4. Wird dem Beauftragten vom Auftraggeber kostenlos das Transportfahrzeug zur Verfügung gestellt, unterliegt er dessen Weisungen hinsichtlich Art, Ort, Dauer und Zeit der Arbeitsausführung und hat er eigenes Kapital nicht einzusetzen, so ist vom Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Hierbei ist rechtlich unbeachtlich, wenn der Betroffene für weitere Auftraggeber tätig werden darf und er einen Anspruch auf Urlaubsgeld und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht besitzt.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 11.11.2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5 mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie Umlagen in Höhe von 41.763,64 Euro für die Zeit vom 1.5.2006 bis 31.5.2010.
Der Beigeladene zu 4) meldete am 24.1.2006 zum 1.4.2006 ein Gewerbe mit den Tätigkeiten "Kurierdienste" und "Kleintransporte" an. Im Mai 2006 einigte sich der Beigeladene zu 4) mit der Klägerin mündlich über die Ausübung von Fahrtätigkeiten, die er mit einem ihm von Klägerseite unentgeltlich zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeug ab dem 11.5.2006 ausführte. Lieferfristen hatte er nach Vorgabe einzuhalten. Die Vertragsparteien vereinbarten, dass der Beigeladene zu 4) hierfür eine Stundenvergütung in Höhe von 20,00 Euro brutto erhält. Seine Dienste für die Klägerin rechnete er mit Monatsrechnungen ab. Diese wiesen neben den geleisteten Arbeitsstunden ab November 2008 auch die gesetzliche Umsatzsteuer aus.
Der Beigeladene zu 4) war in dem nachfolgend dargestellten Umfang für die Klägerin tätig und erhielt hierfür die nachfolgend aufgelisteten Vergütungen:
2006 Zeitlicher Umfang in Stunden Vergütung (ohne Umsatz-steuer) in EUR Mai 37 740,00 Juni 58,25 1.165,00 Juli 68,25 1.365,00 August 114,50 2.290,00 September 88,50 1.770,00 Oktober 87,75 1.755,00 November 127,25 2.545,00 Dezember 63,50 1.270,00 Gesamt 12.600,00
2007 Januar 111 2.220,00 Februar 95,25 1.905,00 März 150,25 3.005,00 April 71,50 1.430,00 Mai 70,50 1.410,00 Juni 140,75 2.815,00 Juli 117,25 2.345,00 August 97 1.940,00 September 61,50 1.230,00 Oktober 124 2.480,00 November 128,25 2.565,00 Dezember 91,50 1.830,00 Gesamt 25.175,00
2008 Januar 90 1.800,00 Februar 112,50 2.250,00 März 135,50 2.710,00 April 151 3.020,00 Mai 127 2.540,00 Juni 176 3.520,00 Juli 170,75 3.415,00 August 153,50 3.070,00 September 122,25 2.445,00 Oktober 74,50 1.490,00 November 102,75 2.055,00 Dezember 87,75 1.755,00 Gesamt 30.070,00
2009 Januar 97,75 1.955,00 Februar 134,50 2.690,00 März 137 2.740,00 April 87,25 1.745,00 Mai 73 1.460,00 Juni 88,25 1.765,00 Juli 128,75 2.575,00 August 99,75 1.995,00 September 105,50 2.110,00 Oktober 123 2.460,00 November 134,50 2.690,00 Dezember 109,50 2.190,00 Gesamt 26.375,00
2010 Januar 68,75 1.375,00 Februar 79 1.580,00 März 128 2.560,00 April 118,50 2.370,00 Mai 105,25 2.105,00 Gesamt 9.990,00
Am 3.3.2010 wurde der Beigeladene zu 4) durch Mitarbeiter des Hauptzollamtes Aachen auf dem Parkplatz "I" an der B 56 in H angehalten und überprüft. Auf Befragen erklärte der Beigeladene zu 4) den Beamten, dass er seit 2006 als selbständiger LKW-Fahrer für die Klägerin tätig sei. Neben dem zur Ausübung benötigten Fahrzeug seien auch die hierfür notwendigen Betriebsstoffe und gegebenenfalls anfallende Reparatur- und Inspektionskosten von der Klägerin bzw. einem Schwesterunternehmen übernommen worden. Die Fahraufträge für die Warenauslieferungen bekäme er morgens vor Fahrtantritt in Form von Lieferscheinen durch einen Mitarbeiter der Klägerin, den Zeugen S. Die Aufträge hätte er dann in Reihenfolge abzuarbeiten und die Erledigung in Form ein...