Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an ein freies Beschäftigungsverhältnis bei Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit
Orientierungssatz
1. Das ZRBG enthält keine Wartezeitfiktion. Deshalb ist für die Entstehung eines Rentenanspruchs die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit erforderlich. Ghettos wurden überwiegend 1942/43 aufgelöst. Daher können Verfolgte allein durch Ghetto-Beitragszeiten die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllen, also kein Rentenstammrecht begründen.
2. Der Wille des Gesetzgebers beschränkt sich darauf, Berechtigte, die nach den Vorschriften von WGSVG und FRG während der Verfolgungsmaßnahmen berücksichtigungsfähige Versicherungszeiten durch eine Beschäftigung im Ghetto erworben hatten, den Erhalt von Leistungen aus diesen Zeiten zu ermöglichen.
3. Auch bei Arbeiten, die unter den allgemeinen Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verrichtet wurden, ist eine freie, von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte Beschäftigung, die grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegt, von nicht versicherungspflichtiger Zwangsarbeit abzugrenzen.
4. Das Vorliegen eines freien Beschäftigungsverhältnisses ist danach zu beurteilen, ob der Beschäftigte aus eigenem Willen ein konkretes Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis durch zweiseitige Vereinbarung eingegangen ist, tatsächlich die von ihm auf der Grundlage des mit dem Arbeitgeber geschlossenen Vertrags geforderte Arbeit geleistet hat und er dafür im Austausch eine den Umständen nach angemessene Gegenleistung als Bar- oder Sachlohn erhalten hat.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.03.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Klägers werden auch im zweitinstanzlichen Verfahren nicht erstattet. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung von Altersruhegeld (ARG) unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Der am 00.00.1926 in U/Ukraine geborene Kläger ist Jude. Nach eigenen Angaben gehörte er dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) nicht an. In der Zeit von Sommer 1941 bis 1943 hielt er sich unter anderem in den Orten Rajgorod, Braszlaw und Ivangorod auf. Im Dezember 1990 wanderte der Kläger aus der UdSSR nach Israel aus.
Im März 2000 beantragte der Kläger bei der Claims Conference die Gewährung von Leistungen nach dem Article 2 Fund. Er gab an, er habe sich in der Zeit von Sommer 1941 bis Januar 1943 in den Ghetto-Lagern Teplik, Braszlaw, Rajgorod und Iwangorod (Gebiet Winnitza) aufgehalten. In der Zeit von Juli 1941 bis März 1942 habe er sich im Ghetto Teplik aufgehalten sowie in der Zeit von März 1942 bis Februar 1943 unter haftähnlichen Bedingungen in Raygorod, Bratslav und Ivangorod gelebt. Der Kläger erklärte im Antrag vom 11.02.2000 unter anderem:
"Ich wurde im Ort U, Geb. X, geboren und wohnte dort bis zum Kriegsausbruch. Hier erreichte mich der Krieg. Mein Vater wurde einberufen. In den letzten Julitagen 1941 wurde Teplik von den Deutschen eingenommen, und meine Mutter wurde zusammen mit uns, ihren vier Kindern, im Ghetto inhaftiert. Im März 1942 wurde ich zusammen mit anderen Jungen, meinen Altersgenossen, nach Raygorod, Geb. X, geschickt, wo wir in einem Steinbruch am Fluss Bug arbeiten sollten. Meine Mutter aber wurde zusammen mit den drei jüngeren Kindern in Teplik erschossen. Am 27. Mai 1942 wurde ich zusammen mit anderen Burschen aus Raygorod nach Bratslov zu Zwangsarbeiten wieder in einem Steinbruch ueberfuehrt und danach in das Lager Ivangorod, wo wir am Bau der Trasse Berlin - Warschau - Kiev beteiligt waren. Die Lebensbedingungen hier waren unerträglich - wir wurden grausam geschlagen, hungerten, die Schwaechsten wurden erschlossen. Im Februar 1943 war es mir gelungen in den Pchelnitsker Wald zu flüchten ..."
Im Protokoll über die telefonische Befragung des blinden Klägers vom 19.06.2000 ist als Ergebnis festgehalten, dass der Kläger mit seiner Mutter und seinen drei Geschwistern bei der Besetzung des Ortes Teplik durch die deutsche Wehrmacht nicht habe flüchten können. Der Kläger sei mit einer Gruppe von örtlichen Juden zu Zwangsarbeiten im Straßenbau im Gebiet Winnitza genommen worden. Er habe diese Zwangsarbeiten in Teplik, Raygorod, Brazlaw und Ivangorod verrichten müssen. Unter den Juden, die die Straßen gebaut hätten, hätte es sowjetische Kriegsgefangene gegeben. Er sei im Ghetto-Lager Iwangorod bis zu seiner Flucht Anfang 1943 gewesen. Dem Antrag waren Unterlagen von Yad Vashem über das Schicksal der Einwohner des Dorfes Teplik beigefügt. In diesen Unterlagen ist vermerkt, dass der Kläger aus dem KZ Rajgorod als einer der ersten geflüchtet sei. Der Kläger erhält Leistungen aus dem Article 2 Fund.
Im Februar 2001 beantragte der Kläger die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG). In dem Antrag erklärte er, dass er ...