Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Ghetto Wilna. eigener Willensentschluss. Entgeltlichkeit
Orientierungssatz
1. Zur Beschäftigung in einem Ghetto iS von § 1 Abs 1 ZRBG (hier: Beschäftigung im Ghetto Wilna in der Zeit von 1941 bis 1943).
2. Den Anordnungen des Gebietskommissars für die Stadt Wilna ist nicht zu entnehmen, dass abweichend von den Vorgaben des Reichskommissars über den Arbeitseinsatz jüdischer Arbeitskräfte der Einsatz von jüdischen Arbeitskräften im Ghetto Wilna in Form von freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigungsverhältnissen organisiert wurde.
3. Der Senat folgt nicht der auch von den Rentenversicherungsträgern vertretenen Auffassung, dass für die Anerkennung von Ghetto-Beschäftigungen als Beitragszeiten nach dem ZRBG eine Beziehung der Verfolgten iS des BEG zur deutschen Rentenversicherung während der Verfolgungszeit nicht mehr erforderlich ist. Das ZRBG weitet nicht den Kreis der anspruchsberechtigten Verfolgten, der durch die Bestimmungen des SGB 6, des WGSVG (§§ 1, 20 WGSVG) und des FRG (§§ 1, 16, 17a FRG) festgelegt ist, aus. Vielmehr beschränkt sich der Anwendungsbereich des ZRBG auf die Bewertung von Beschäftigungszeiten in einem Ghetto sowie deren Zahlbarmachung ins Ausland, die nach § 247 Abs 3 S 1 SGB 6 (Beitragszeiten nach RVO) oder den Bestimmungen des FRG den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt sind. Das ZRBG ändert oder ergänzt nicht die Bestimmungen des SGB 6 über das Entstehen und den Bestand eines Stammrechts auf Rente, sondern es betrifft nur den sich aus dem Stammrecht ergebenden monatlichen Zahlungsanspruch.
4. Nach der Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten Gebieten (SVbesGebieteV) vom 4.8.1941 (RGBl I 1941, 486) unterlagen nur die in Litauen beschäftigten deutschen Staatsangehörigen und deutschen Volkszugehörigen den Vorschriften der RVO. Auch durch die Verordnung des Generalkommissars in Kauen über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 1.5.1943 wurde die "einheimische" Bevölkerung, zu der alle nichtdeutschen Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge mit Ausnahme der Ostarbeiter und nicht im Reichskommissariat beheimateten Ausländer gehörten, nicht in die RVO miteinbezogen. Vielmehr war die Ersetzung des bisherigen sozialen Sicherungssystems für die "einheimische" Bevölkerung in Litauen, eingeführt durch die Sowjetunion, durch den Aufbau einer eigenständigen Sozialversicherung beabsichtigt, die nicht der Reichsversicherung an- oder eingegliedert wurde (vgl BSG vom 1.12.1966 - 4 RJ 401/64 und BSG vom 28.10.1966 - 4 RJ 305/63 = SozR Nr 2 zu AufbauVO-Allg).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.09.2004 wird zurückgewiesen.
Kosten der Klägerin werden auch im zweitinstanzlichen Verfahren nicht erstattet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Altersruhegeld (ARG) unter Berücksichtigung von "Ghetto-Beitragszeiten" wegen einer Beschäftigung im Ghetto Wilna in der Zeit von September 1941 bis August 1943.
Die 1931 in Wilna (Litauen) geborene Klägerin ist Jüdin und anerkannte Verfolgte nach dem BEG. Die Klägerin gehörte nach eigenen Angaben nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) an. Sie hielt sich im Ghetto Wilna auf. Im August 1943 wurde die Klägerin in das Zwangsarbeitslager Waiwara (Estland) deportiert. Nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager Neustadt/Holstein am 02.05.1945 wurde sie in der Zeit vom 16.05.1945 bis zum 21.02.1946 stationär wegen der Folgen einer Schussverletzung und einer Lungentuberkulose behandelt. Im April 1946 wanderte die Klägerin nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit.
Das Bezirksamt für Wiedergutmachung in Koblenz bewilligte der Klägerin eine Entschädigung für "Schaden an Freiheit" für die Zeit vom 31.07.1941 - 05.05.1945 (Bescheid vom 17.09.1957). Im Entschädigungsverfahren gab die Klägerin an, dass sie bei Kriegsausbruch in Wilna, EStraße , gewohnt habe, im Herbst 1941 mit ihren Eltern in das Ghetto Wilna gekommen sei und dort in der T 00 gewohnt habe.
Im Dezember 2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von ARG unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Sie erklärte, sie habe im Ghetto Wilna von 1941 bis 1943 als Hilfsschneiderin innerhalb des Ghettos in einer Nähwerkstatt, S Str., gearbeitet. Sie habe Näharbeiten je nach Bedarf ausgeführt. Auf dem Weg von und zur Arbeit und während der Arbeit sei sie nicht bewacht worden. Ihre Mutter habe den Arbeitseinsatz zustande gebracht. Die Arbeitszeit habe 8 -10 Stunden betragen. Sie habe Sachbezüge in Form von "Lebensmittelcoupons zusätzlich, Logis, Bonifikationen" erhalten. Der Erhalt von Barlohn sei nicht erinnerlich. Durch Bescheid vom 26.11.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Aufgrund des Lebensalters der Klägerin sei es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin im G...