Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlbarmachung von Rente aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Ostrog -rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. eigener Willensentschluss. Entgeltlichkeit. Lebensmittelversorgung

 

Orientierungssatz

Zum Vorliegen von Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto iS von § 1 Abs 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074) (hier: Beschäftigungen im Ghetto Ostrog in der Zeit von September 1941 bis September 1942).

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.06.2007 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtzügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob zu Gunsten der Klägerin sog. Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) berücksichtigt werden können.

Die Klägerin ist am 00.00.1928 in Slawuta/Ukraine als sowjetische Staatsangehörige geboren. Sie ist jüdischen Glaubens, lebt seit 1962 in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Sie ist als Verfolgte des Nationalsozialismus im Sinne des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt eine Beihilfe wegen Freiheitsentziehung (§ 43 BEG) vom 05.10.1941 bis 25.09.1942 (Bescheid vom 19.06.1972).

Im Entschädigungsverfahren gab die Klägerin am 01.06.1966 an:

"Bei Beginn des 2. Weltkrieges im Jahre 1939 lebte ich in Ostrok (Polen). Bei Beginn der Verfolgung wohnte ich in Ostrok (Polen). Bald nach Besetzung unserer Ortschaft durch die Deutschen musste ich das vorgeschriebene Judenkennzeichen ab Oktober 1941 ununterbrochen tragen. Bei Errichtung des Ghetto in Ostrok im Monat ca. September 1941 wurde ich gleich dorthin eingewiesen und verblieb in demselben bis zur Liquidation. Im Monat September 1942 gelang es mir aus dem Ghetto Ostrok zu flüchten und seit damals lebte ich in der Illegalität in Ostrok. Im Monat Februar 1944 wurde ich endlich befreit und nahm Aufenthalt in Luck (Polen), von wo ich mich 1946 nach Lodz (Polen) begab. Dort verblieb ich bis November 1962 und übersiedelte dann nach Israel. Im Monat November 1962 wanderte ich nach Israel aus.".

Am 24.01.1968 erklärte die Klägerin ebenfalls im Entschädigungsverfahren:

"Zu Beginn der NS-Verfolgung wohnte ich mit meinen Eltern in Ostrog, Polen. Nach der Besetzung unseres Wohnortes durch die Deutschen musste ich, wie alle Juden in Ostrog, ab September/Oktober 1941 ein Judenkennzeichen tragen und im Ghetto Ostrog mit vielen anderen jüdischen Einwohnern unserer Stadt unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen. Ich litt Hunger, Kälte und Entbehrungen und war der rohen Willkür der deutschen Ghettobehörden ausgesetzt, die mich misshandelten und bedrohten. Diese Leiden musste ich im jugendlichen Alter von kaum 13 Jahren erdulden und Gewalt- und Terrorakten beiwohnen.

Als sich die Verhältnisse im Ghetto Ostrog immer mehr verschärften und die Liquidierung begann, gelang es mir, unter Lebensgefahr aus dem Ghetto zu entlaufen und bei christlichen Familien unterzukommen. "

Der Zeuge F E gab am 00.00.1970 an, die Antragstellerin E C sei ihm aus frühester Kindheit her als E L aus dem Ghetto Ostrog her bekannt, da sie damals kaum 11 Jahre alt gewesen sei. Er sei mit der Antragstellerin von September 1941 ein ganzes Jahr lang im Ghetto Ostrog inhaftiert gewesen und bezeuge aus eigener Kenntnis, dass sie dort totale Freiheitsentziehung erlitten und das vorgeschriebene Judenkennzeichen ununterbrochen getragen habe. Ein Jahr später sei E L, jetzt C, aus dem Ghetto Ostrog verschwunden und sie hätten einander erst in Israel vor kurzem bei einer Zusammenkunft der Landsmannschaft der ehemaligen Verfolgten aus Ostrog wiedergetroffen.

In einer "Negativerklärung" gab die Klägerin am 10.04.1972 an, weder deutscher Volkszugehörigkeit zu sein, noch dem deutschen Sprach- und Kulturkreis anzugehören.

Am 12.09.2003 beantragte die Klägerin die Zahlung einer Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 unter Hinweis auf das ZRBG. In dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG gab die Klägerin am 24.12.2003 an, die Arbeitsleistung sei im Ghetto Ostrog, Westukraine, zurückgelegt worden. Die Beschäftigung im Ghetto habe September 1941 begonnen und September 1942 geendet. Die Arbeitsleistung sei innerhalb des Ghettos in einer Schneiderwerkstatt erfolgt. Sie sei weder auf dem Weg von und zur Arbeit noch während der Arbeit bewacht worden. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen. Sie habe Reinigungs- und Näharbeiten verrichtet. Sie habe täglich 6-8 Stunden gearbeitet. Die Arbeit sei mit zusätzlichen Lebensmitteln entlohnt worden. Barlohn habe sie nicht erhalten. Für ihre Tätigkeit habe sie Mittagessen als Sachbezüge erhalten. Zeugen für di...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge