Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Regelsatz nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB 12. erwachsener Leistungsberechtigter ohne Partner und Kinder. Regelbedarfsstufe 3 bei Nichtführen eines eigenen Haushalts. Einzelfallprüfung. Verfassungsmäßigkeit. Verwerfungskompetenz der Sozialgerichte. Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ungleichbehandlung gegenüber Leistungsberechtigten nach dem SGB 2. Diskriminierungsverbot. Übergangsregelung des § 137 SGB 12. Einsatzgemeinschaft. Ermittlung des Regelbedarfs. Datengrundlage. Wirtschaftliche Eigenständigkeit. Verhältnismäßigkeit. Förderungsgebot
Leitsatz (amtlich)
1. Für den Ansatz der Regelbedarfsstufe 3 iS der Anlage zu § 28 SGB 12 sind hinsichtlich der Frage, ob ein eigener Haushalt geführt wird, die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich.
2. Die in der Anlage zu § 28 SGB 12 vorgesehenen Regelbedarfsstufen entsprechen den in § 8 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (juris: RBEG) geregelten Regelbedarfsstufen. Der Umstand, dass die Anlage zu § 28 SGB 12 gem § 40 S 1 Nr 2 SGB 12 ausschließlich wegen der nach § 28a SGB 12 gebotenen Fortschreibung der Regelsätze durch Rechtsverordnung geändert werden kann, macht die im Jahr 2011 geltende Fassung der Vorschrift nicht zu einer Rechtsverordnung.
3. Den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit steht deswegen in Bezug auf die Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB 12 keine Verwerfungskompetenz zu.
4. Die gesetzlichen Regelungen des § 8 Abs 1 Nr 3 RBEG und der Anlage zu § 28 SGB 12 sind nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hat bei der Einführung der Regelbedarfsstufe 3 die verfassungsrechtlichen Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht überschritten.
5. § 137 S 1 SGB 12 kommt nach seinem eindeutigen Wortlaut nur zur Anwendung, wenn die Regelsätze bereits erbracht, also tatsächlich geleistet worden sind. Die Norm hat keinen anspruchsbegründenden Charakter, so dass ein anderes Ergebnis auch nicht in einem Verfahren nach § 44 SGB 10 erzielt werden kann.
Orientierungssatz
1. Bei volljährigen Personen ohne eigene Kinder, die nicht mit einem Partner zusammenleben, kommt es für die Abgrenzung der Regelbedarfsstufen 1 und 3 nach der Anlage zu § 28 SGB 12 allein darauf an, ob sie einen eigenen Haushalt führen.
2. Es ist mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar, dass erwerbsfähige Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben und keinen eigenen Haushalt führen, sondern im Haushalt ihrer Eltern wohnen, den für einen Alleinstehenden vorgesehenen Regelbedarf entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 und damit mehr erhalten als nicht erwerbsfähige Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben und ebenfalls ohne eigenen Haushalt im Haushalt ihrer Eltern leben und denen deshalb nur ein Regelbedarf entsprechend der Regelbedarfsstufe 3 gewährt wird. Dies gilt jedenfalls in Bezug auf solche nicht erwerbsfähige Personen, die zur Führung eines eigenen Haushalts nicht in der Lage sind.
3. Fehlen einer Person gerade aufgrund ihrer Behinderung bestimmte geistige oder körperliche Fähigkeiten, die unerlässliche Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Rechts sind, liegt in der Verweigerung dieses Rechts kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Demnach liegt in der Zuordnung solcher behinderter Personen zur Regelbedarfsstufe 3, die aufgrund ihrer Behinderung nicht dazu in der Lage sind, aus eigener Initiative heraus ohne Hilfe einen eigenen Hausstand zu begründen, keine Verletzung des Art 3 Abs 3 S 2 GG.
Normenkette
RBEG § 8 Abs. 1 Nr. 3; SGB XII § 19 Abs. 2, § 27a Abs. 2-3, §§ 28, 41, 42 Nr. 1, § 137 S. 1; SGB II § 7 Abs. 3 Nr. 4, § 20 Abs. 2-3; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1, § 48 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 3 S. 2, Art. 20 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12.12.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in der Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2011, insbesondere die Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfsstufe 3. Der am 00.00.1982 geborene Kläger leidet an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie und ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt. Für den Kläger besteht eine gesetzliche Betreuung, die die Aufgabenkreise Vermögensangelegenheiten, Renten- und Unterhaltsforderungen, Sozialhilfe- und Wohnungsangelegenheiten, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Unterbringung, unterbringungsähnliche Maßnahmen, Gesundheitsfürsorge und Befugnis zum Empfang von Post umfasst. Im Bereich der Vermögensangelegenheiten...