Entscheidungsstichwort (Thema)
Bandscheibenbedingte Erkrankung der Wirbelsäule. Stichtagsregelung. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Zur Verfassungsmäßigkeit der Stichtagsregelung des § 2 Abs 2 BKVO7ÄndV 2.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) insbesondere mit einer Verletztenrente zu entschädigen ist.
Der im Jahre 1951 geborene Kläger absolvierte von 1967 bis 1970 eine Tischler-Lehre und war anschließend im erlernten Beruf sowie als Möbelauslieferungsfahrer tätig. Ab Ende 1976 wurde er wegen Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) behandelt. Im Juli 1977 fand eine stationäre Behandlung wegen eines LWS-Syndroms statt, wobei der Verdacht auf einen Bandscheibenprolaps geäußert wurde. Er war seither arbeitsunfähig geschrieben. Wegen der LWS-Problematik wurde der Kläger im Rahmen einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme seitens der Landesversicherungsanstalt (LVA) Westfalen erfolgreich zum Holztechniker umgeschult. In diesem Beruf war er seit 1980 tätig. Seit 1993 übt er vorwiegend kaufmännische Tätigkeiten aus. Im Oktober 1988 und im Juli 1989 wurden Bandscheiben-Operationen im Bereich der LWS durchgeführt.
Am 26.01.1993 beantragte der Kläger die Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als BK und die Gewährung von Rentenleistungen.
Nach Beiziehung eines Berichtes von dem Chirurgen Dr. Sch, B, vom 06.07.1993 und weiterer medizinischer Unterlagen sowie von Vorerkrankungsverzeichnissen der zuständigen Krankenkassen und nach Befragung des Klägers zu seinem beruflichen Werdegang veranlaßte die Beklagte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. T, Orthopäde in B, nach Aktenlage vom 10.05.1995. Darin kam dieser zusammenfassend zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS im Bereich L5/S1 eindeutig eine schicksalsmäßige Entwicklungskette erkennbar sei, während die berufliche Belastung nicht die entscheidende Ursache darstellen könne, da weiterreichende, d.h. generalisierte Bandscheibenschäden der LWS nicht gefunden worden seien. Im übrigen sei auch festzustellen, daß seit der Umschulung zum Holztechniker mit entsprechender Beschäftigung zweifellos nur noch in Ausnahmefällen schweres Heben und Tragen, d.h. mit Gewichten über 25 kg, angefallen sei. Die Anerkennung einer BK nach Nr. 2108 sei abzulehnen. Nach Einschaltung der Landesanstalt für Arbeitsschutz Nordrhein-Westfalen (Staatlicher Gewerbearzt) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.09.1995 den Anspruch auf Entschädigung wegen einer BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO wegen Fehlens der entsprechenden arbeitstechnischen und medizinischen Voraussetzungen ab.
Den dagegen am 27.09.1995 eingelegten Widerspruch des Klägers wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 02.11.1995 im wesentlichen aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zurück.
Dagegen hat der Kläger am 09.11.1995 Klage beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben und vorgebracht, Dr. T sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Er habe übersehen, daß er - der Kläger - im Rahmen der Möbelauslieferungen nicht nur die Möbelteile habe zusammenbauen, sondern auch transportieren müssen. Hierbei seien erhebliche Gewichte zu bewältigen gewesen. Entgegen der Auffassung des Dr. T stelle das unstreitig vorliegende rezidivierende schmerzhafte Lumbalsyndrom - vorwiegend im Wurzelbereich L5/S1 - eine BK dar. Bei der vorzunehmenden Beurteilung müßten im übrigen insbesondere die Jahre ab 1967 berücksichtigt werden, in denen seine Tätigkeit zu 80 % aus dem "Wuchten" von schweren Lasten bestanden habe.
Vom SG dazu aufgefordert, im einzelnen darzulegen, daß er noch nach dem Stichtag des 31.03.1988 wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten i.S.d. BK 2108 verrichtet habe, hat der Kläger die Verfassungsmäßigkeit dieser Stichtagsregelung in Zweifel gezogen.
Die Beklagte hat im wesentlichen die Gründe ihrer angefochtenen Bescheide wiederholt und ferner vorgebracht, der Kläger habe nach eigenen Angaben seit 1977 nur noch leitende Tätigkeiten ausgeübt, so daß eine Gefährdung i.S.d. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO nicht zu erkennen sei.
Das SG hat zu den Beschäftigungsverhältnissen des Klägers seit 1980 Arbeitgeberauskünfte eingeholt. Wegen des Ergebnisses dieser Ermittlungen wird auf den Inhalt folgender Auskünfte verwiesen: Der Firma Regent Möbel Großeinkauf, G, vom 12.06.1996 i.V.m. der in einem früheren Verfahren erteilten Auskunft vom 03.07.1991; der Firma J M, Fensterfabrik in W, vom 31.05.1986; der Firma T, Holzverarbeitungswerk in W, vom 30.05.1996; der Firma O Möbel-Industrie M-W GmbH & CoKG in G vom 10.06.1996 und der Firma A S, Innenausbau GmbH in E, vom 15.07.1996.
Mit Urteil vom 14.11.1996 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, gemäß Art. 2 Abs. 2 der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKVO (2. ÄVO) sei erforderlich, daß der Versicherungsfall nach dem 31.03.1988 eingetreten sei. Der Versicherungsfall sei jedoch schon vor dies...