Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstellung der Rentenzahlung an Bewohner der Colonia Dignidad wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht
Orientierungssatz
1. Begnügt sich der Rentenversicherungsträger eine in der Colonia Dignidad in Chile wohnende Rentenberechtigte darauf hinzuweisen, daß ihr die Rente ganz oder teilweise entzogen werden müsse, wenn sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 61 SGB 1 nicht nachkomme, so genügt dies nicht den Anforderungen an eine konkrete Hinweispflicht.
2. Der Hinweis darf sich nicht auf die Wiederholung des Gesetzeswortlauts oder Belehrungen allgemeiner Art beschränken; er muß vielmehr anhand der dem Leistungsträger durch § 66 Abs 1 und Abs 2 SGB 1 eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten unmißverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die im Einzelfall beabsichtigt ist, wenn der Betroffene dem Mitwirkungsverlangen innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt. Fehlt der Hinweis, welches Ausmaß die Entziehung haben werde, ist nicht gewährleistet, daß der Betroffene in Kenntnis der ihm drohenden Folgen seine Haltung überdenkt.
Tatbestand
Streitig ist die "vorläufige Einstellung der Rentenzahlung" an die inzwischen verstorbene Klägerin H... B...
Die 1907 geborene Klägerin lebte seit 1962 als deutsche Staatsangehörige in der "...". (der sogenannten C... D..., im folgenden: C.) in der Gemeinde P... in C... Sie erhielt von der zunächst beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Westfalen seit Mai 1987 Witwenrente, die sie sich auf ein bei der Kreissparkasse in S... auf ihren Namen eingerichtetes Konto überweisen ließ.
Mit Schreiben vom 14.11.1988 teilte die LVA Westfalen der Klägerin mit, daß aufgrund von Zeugenerklärungen in einem Anhörungstermin des Unterausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags vom 22.02.1988 Zweifel daran bestünden, ob ihr die Rente tatsächlich zufließe bzw. ob sie die Rente wirksam abgetreten habe. Die LVA sei gehalten, dem Verdacht nachzugehen, ob es hier zu einer nach § 53 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) unzulässigen Rentenabtretung gekommen sei. Da diese Frage nur in einem persönlichen Gespräch geklärt werden könne, werde sie (die Klägerin) auf ihre Mitwirkungspflicht nach § 61 SGB I hingewiesen und gebeten, am 23.11.1988 im Hotel I... R... in C... vorzusprechen. Die Fahrtkosten würden erstattet. Sollte sie zu dem Gesprächstermin nicht erscheinen, sehe sich die LVA gezwungen, von der gesetzlichen Regelung des § 66 SGB I Gebrauch zu machen. Danach könne der Leistungsträger, sofern der Rentner seiner Mitwirkungspflicht nach § 61 SGB I nicht nachkomme, die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ohne weitere Ermittlungen ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Der vollständige Wortlaut des § 66 SGB I könne aus der beiliegenden Anlage ersehen werden. Sollte die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen verhindert sein, nach C... zu reisen, werde um Mitteilung und Erlaubnis zu einem Hausbesuch gebeten.
Mit Schreiben vom 25.11.1988 bat die Klägerin um Übersendung der angeführten Zeugenerklärungen und um Mitteilung, ob eine Abtretungserklärung ihrer Rente vorliege und wohin die Rente gezahlt worden sei. Daraufhin antwortete die LVA Westfalen unter dem 23.01.1989, daß ihr keine ausdrücklich Abtretungserklärung vorliege; die Witwenrente werde auf ein Konto bei der Kreissparkasse in S... gezahlt.
Schließlich stellte die LVA durch Bescheid vom 24.01.1989 die Rentenzahlung mit Ablauf des Monats Februar 1989 vorläufig ein. Da die Versicherte nicht zu dem Gesprächstermin vom 23.11.1988 in C... erschienen sei und auch nicht die Möglichkeit zu einem Besuch an ihrem Wohnsitz eingeräumt habe, hätten die Zweifel über die Frage einer wirksamen Abtretung der Rente nicht beseitigt werden können. Die Rente und der Nachzahlungsbetrag würden unverzüglich wieder angewiesen, sobald der Anspruch in einem persönlichen Kontaktgespräch mit der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden könne. Zu diesem Zweck sei die Botschaft jederzeit bereit, die Klägerin selbst aufzusuchen.
Den von der Klägerin am 13.02.1989 eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuß der LVA Westfalen durch Bescheid vom 10.05.1989 zurück. Zur Begründung führte er aus, daß nur in einem persönlichen Gespräch, zu dem die Klägerin gemäß § 61 SGB I verpflichtet sei, geprüft werden könne, ob ihr die Leistung tatsächlich zufließe oder wirksam abgetreten worden sei. Da die Klägerin den angebotenen Gesprächstermin am 23.11.1988 nicht wahrgenommen und auch keinen Ausweichtermin genannt habe, hätten die Rentenzahlungen auch aus diesem Grunde eingestellt werden müssen.
Gegen diesen am 17.05.1989 abgesandten Bescheid hat die Klägerin am 19.06.1989 Klage erhoben und vorgetragen: Entgegen der Auffassung der LVA Westfalen sei es nicht notwendig daß sie persönlich bei der deutschen Botschaft in S... d. C... erscheine. Außerdem sei sie aus gesundheitlichen Gründen und wegen ihres hohen Alters nicht in der Lage, zur 400 km entfernt ...