Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. sachlicher Zusammenhang. gemischte Tätigkeit: Spazierengehen und Dienstgespräch/Telefonieren. gespaltene Handlungstendenz. gemischte Motivationslage. Rufbereitschaft einer Altenpflegerin
Orientierungssatz
Eine Altenpflegerin, die während ihrer Rufbereitschaft und eines dabei geführten Dienstgesprächs mit ihrem Diensthandy auf einem Spaziergang verunglückt, steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.04.2012 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt neu gefasst wird:
Der Bescheid vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2011 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Unfall vom 10.01.2010 ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.
Die 1949 geborene und in W. wohnhafte Klägerin war als Altenpflegerin bei der K-Unfall-Hilfe e. V. in E. beschäftigt. Am Vormittag des 10.01.2010 unternahm sie in W. während ihrer Rufbereitschaft einen Spaziergang mit ihrem Hund. Während der Rufbereitschaft durfte die Klägerin sich innerhalb des Bezirks E./X. frei bewegen, sie musste aber auf ihrem Diensthandy telefonisch erreichbar sein. Als die Klägerin gegen 11 Uhr eine Straße, an deren Rändern sich Schnee häufte, überquerte, klingelte ihr Diensthandy und die Klägerin nahm den Anruf an. Während die Anruferin, eine Kollegin der Klägerin, ihren Namen nannte, übersah die Klägerin die schneebedeckte Bordsteinkante und stürzte. Dabei zog sie sich eine Knöchelfraktur zu.
Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 10.01.2010 ab, weil die unfallbringende Tätigkeit keine versicherte Tätigkeit im Sinne des Unfallversicherungsrechts darstelle.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie machte geltend, dass während der Rufbereitschaft jeder eingehende Anruf auf dem Diensthandy angenommen und beantwortet werden müsse. Es habe eindeutig eine Rufbereitschaft im dienstlichen Bereich bestanden. Außerdem sei bei jedem Schellen des Diensttelefons besondere Eile geboten. Demnach habe Unfallversicherungsschutz bestanden, weil die betrieblichen Interessen vorrangig gewesen seien und ihr Verhalten beherrscht hätten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus: Es liege im Wesen der Rufbereitschaft, dass ein dienstlicher Anruf stets während einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit erfolge. Weil sodann ab Anruf auch eine dienstliche Tätigkeit hinzukomme, entstehe so eine gemischte Tätigkeit. Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit in Form des Spazierengehens mit dem Hund und eine fremdwirtschaftliche Tätigkeit in Form des dienstlichen Telefonats ausgeübt. Bei einer solchen gemischten Tätigkeit sei entscheidendes Abgrenzungskriterium zur Bejahung des Versicherungsschutzes, ob die Tätigkeit auch dann vorgenommen wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Wäre die Klägerin mit ihrem Hund nicht dort spazieren gegangen, hätte der Anruf selbst nicht zu der unfallbringenden Tätigkeit geführt. Sie hätte nicht sprechend die Straße überquert und hätte auch nicht den Bordstein verfehlt. Es wäre nicht zu der Verletzung gekommen. Die geltend gemachte "gebotene Eile" könne auch nicht erkannt werden. Die unfallbringende Tätigkeit sei demnach unversichert.
Die Klägerin hat am 15.07.2011 Klage erhoben.
Sie hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2011 zu verpflichten, das Unfallereignis vom 10.01.2010 als versicherte Tätigkeit im Sinne des Unfallversicherungsrechts anzuerkennen und dementsprechend Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist auf ihrem Standpunkt verblieben.
Mit Urteil vom 10.04.2012 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen aufgrund des Arbeitsunfalls vom 10.01.2010 zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die ihr am 26.04.2012 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 04.05.2012 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Das Sozialgericht stelle ausschließlich darauf ab, dass mit Annahme des Telefonats der "Dienst" aufgenommen worden sei, und nehme rechtsirrtümlich an, dass sämtliche Verrichtungen während der Dienstzeit versichert seien. Mit der zur gemischten Tätigkeit oder gemischten Motivationslage ergangenen Rechtsprechung habe sich das Sozialgericht nicht auseinandergesetzt. Die Klägerin habe auch erstmals in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie aufgrund der Eile...