Entscheidungsstichwort (Thema)
Wesentlichkeit der versicherten Verrichtung als Voraussetzung der Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall. Ursache. Dienstliches Telefonieren beim Spazierengehen
Orientierungssatz
1. Zur Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall ist u. a. erforderlich, dass der dadurch verursachte Gesundheitsschaden infolge der Verrichtung der versicherten Tätigkeit eingetreten und damit dieser zuzurechnen ist.
2. Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen.
3. Bei der reinen Rechtsfrage nach der Wesentlichkeit der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll (BSG Urteil vom 13. 11. 2012, B 2 U 19/11 R).
4. Das Telefonieren eines zur Rufbereitschaft verpflichteten Versicherten steht unter Unfallversicherungsschutz; dies gilt auch dann, wenn er sich während der Rufbereitschaft frei bewegen kann. Ist für das Unfallereignis nicht das Telefonat, sondern das Ausgleiten auf schneebedecktem Boden des Versicherten ursächlich, so kommt dem Unfallereignis nicht der Charakter eines Arbeitsunfalls zu.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 1
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10.04.2012 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für sämtliche Rechtszüge einschließlich des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.
Die 1949 geborene und in W wohnhafte Klägerin war als Altenpflegerin bei der K-Hilfe e. V. in E beschäftigt. Am Vormittag des 10.01.2010 unternahm sie in W während ihrer Rufbereitschaft einen Spaziergang mit ihrem Hund. Während der Rufbereitschaft durfte die Klägerin sich innerhalb des Bezirks E/X frei bewegen, sie musste aber auf ihrem Diensthandy telefonisch erreichbar sein. Als die Klägerin gegen 11 Uhr eine Straße, an deren Rändern sich Schnee häufte, überquerte, klingelte ihr Diensthandy und die Klägerin nahm den Anruf an. Während die Anruferin, eine Kollegin der Klägerin, ihren Namen nannte, übersah die Klägerin die schneebedeckte Bordsteinkante und stürzte. Dabei zog sie sich eine Knöchelfraktur zu.
Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 10.01.2010 ab, weil die unfallbringende Tätigkeit keine versicherte Tätigkeit im Sinne des Unfallversicherungsrechts darstelle. Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie machte geltend, dass während der Rufbereitschaft jeder eingehende Anruf auf dem Diensthandy angenommen und beantwortet werden müsse. Es habe eindeutig eine Rufbereitschaft im dienstlichen Bereich bestanden. Außerdem sei bei jedem Schellen des Diensttelefons besondere Eile geboten. Demnach habe Unfallversicherungsschutz bestanden, weil die betrieblichen Interessen vorrangig gewesen seien und ihr Verhalten beherrscht hätten. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus: Es liege im Wesen der Rufbereitschaft, dass ein dienstlicher Anruf stets während einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit erfolge. Weil sodann ab Anruf auch eine dienstliche Tätigkeit hinzukomme, entstehe so eine gemischte Tätigkeit. Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit in Form des Spazierengehens mit dem Hund und eine fremdwirtschaftliche Tätigkeit in Form des dienstlichen Telefonats ausgeübt. Bei einer solchen gemischten Tätigkeit sei entscheidendes Abgrenzungskriterium zur Bejahung des Versicherungsschutzes, ob die Tätigkeit auch dann vorgenommen wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Wäre die Klägerin mit ihrem Hund nicht dort spazieren gegangen, hätte der Anruf selbst nicht zu der unfallbringenden Tätigkeit geführt. Sie hätte nicht sprechend die Straße überquert und hätte auch nicht den Bordstein verfehlt. Es wäre nicht zu der Verletzung gekommen. Die geltend gemachte "gebotene Eile" könne auch nicht erkannt werden. Die unfallbringende Tätigkeit sei demnach unversichert.
Die Klägerin hat am 15.07.2011 Klage erhoben.
Sie hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2011 zu verpflichten, das Unfallereignis vom 10.01.2010 als versicherte Tätigkeit im Sinne des Unfallversicherungsrechts anzuerkennen und dementsprechend Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist auf ihrem Standpunkt verblieben.
Mit Urteil vom 10.04.2012 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen aufgrund des Arbeitsunfalls vom 10.01.2010 zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug g...