Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Vermögenseinsatz. Sterbegeldversicherung. Verwertbarkeit und Kündbarkeit von Versicherungen. kein Ausschluss durch Zusicherung oder Darlehensvereinbarung. Härte
Orientierungssatz
1. Sämtliche Versicherungen stellen dem Grunde nach verwertbares Vermögen iS des § 90 Abs 1 SGB 12 dar, wenn ein vorzeitiges Kündigungsrecht und ein Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswertes besteht. Dies gilt auch für Sterbegeldversicherungen, wenn Anhaltspunkte dafür fehlen, dass eine vorzeitige Kündigung ausgeschlossen oder nur unter Einhaltung einer langen Kündigungsfrist möglich ist.
2. Eine Vereinbarung iS einer Zusicherung nach § 34 SGB 10 zwischen dem Sozialhilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger schließt die Verwertung der Versicherung nicht aus, wenn der Sozialhilfeempfänger den Rückkaufswert der Versicherung nicht wie vereinbart verwendet, weil dadurch eine Änderung der Sachlage iS des § 34 Abs 3 SGB 10 herbeigeführt wird.
3. Auch eine Vereinbarung über die Aushändigung der Versicherungspolicen an einen Angehörigen des Sozialhilfeempfängers schließt eine Verwertung der Versicherungen nicht aus, wenn der Sozialhilfeempfänger Inhaber der gegenüber der Versicherung bestehenden Ansprüche geblieben und insbesondere keine Abtretung der Rechte aus den Versicherungsverträgen vereinbart worden ist.
4. Versicherungsverträge sind zunächst sämtlich nicht über § 90 Abs 2 Nr 9 SGB 12 geschützt. Erst nach einer Verwertung der Versicherungen sind die zugeflossenen Rückkaufswerte als Surrogate bis zu einer Höhe von insgesamt 2600,00 € geschützt. Ebenso sind die Versicherungen nicht über § 90 Abs 3 S 2 SGB 12 geschützt, wenn ein Sozialhilfeempfänger beabsichtigt, mit den Versicherungen eine angemessene Bestattung sicherzustellen, da dies nicht als Bestandteil der Alterssicherung zu verstehen ist. Die angemessene Lebensführung und die angemessene Alterssicherung finden begriffsnotwendig ihre Grenzen mit dem Tod des Betreffenden (vgl BSG vom 18.3.2008 - B 8/9b SO 9/06 R = SozR 4-3500 § 90 Nr 3, BVerwG vom 11.12.2003 - 5 C 84/02 = NJW 2004, 2914).
5. Das verwertbare Vermögen ist nur hinsichtlich der reinen Sterbegeldversicherungen vor der Verwertung gem § 90 Abs 3 S 1 SGB 12 geschützt. Die Erlebens- und Todesfallversicherungen hingegen sind von ihrem vertraglichen Zuschnitt her kapitalbildende Lebensversicherungen, denen eine besondere Zweckbestimmung in Bezug auf Bestattung und/oder Grabpflege nicht innewohnt.
6. Die Verwertung einer Erlebens- und Todesfallversicherung stellt eine Härte iS des § 90 Abs 3 SGB 12 dar, wenn der Rückkauf der Versicherungen unwirtschaftlich ist. Ein leichtes Zurückbleiben der gezahlten Beiträge hinter dem Rückkaufswert begründet keine solche Härte.
Normenkette
SGB XII § 90 Abs. 1, 2 Nr. 9, Abs. 3 Sätze 1-2, § 74; SGB X § 34
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 29.01.2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von ergänzenden Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII) für die Zeit ab März 2005.
Die im Jahre 1923 geborene Klägerin beantragte am 10.03.2005 Leistungen der Grundsicherung und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII bei der Beklagten. Sie bezog zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Witwenrente in Höhe von 578,19 EUR netto. An Kosten der Unterkunft und Heizung war von der Klägerin ein Gesamtbetrag von 320,54 EUR (Kaltmiete 213,58 EUR + Nebenkosten 70,66 EUR + Heizkosten 36,30 EUR) monatlich aufzuwenden.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung unterhielt die Klägerin folgende Versicherungen der I Versicherungs-AG:
1. Sterbegeldversicherung Nr. 000 aus 1956 über eine Versicherungssumme von 1.000,- DM.
2. Sterbegeldversicherung Nr. 000 aus 1969 über eine Versicherungssumme von 2.000,- DM mit einem Rückkaufswert bei Antragstellung von 922,68 EUR.
3. Todes- und Erlebensfallversicherung Nr. 000 aus 1986 über eine Versicherungssumme von 3.000,- DM mit einem Rückkaufswert bei Antragstellung von 1.997,92 EUR, bei der die Beitragszahlung zum 01.01.1998 beendet war.
4. Todes- und Erlebensfallversicherung Nr. 000 aus 1990 über eine Versicherungssumme von 3.000,- DM mit einem Rückkaufswert bei Antragstellung von 1.630,52 EUR, bei der die Beitragszahlung zum 01.09.2002 beendet war.
5. Todes- und Erlebensfallversicherung Nr. 000 aus 1997 über eine Versicherungssumme von 2.000,- DM mit einem Rückkaufswert bei Antragstellung von 840,39 EUR mit einem Ende der Beitragszahldauer zum 01.12.2002.
6. Kapitallebensversicherung Nr. 000 mit einem Rückkaufswert bei Antragstellung von 1.181,18 EUR.
Im Rahmen einer Vorsprache des Sohnes der Klägerin, Herrn I N, bei der Beklagten am 18.04.2005 stellte die Beklagte in Aussicht, dass vier Sterbeversicherungen angesichts eines zu erwartenden Verlustes beim Rückkauf von insgesamt ca. 1.000,- EUR nicht verwertet werden solle...