Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Kostenerstattung gem § 264 Abs 7 SGB 5. Zuständigkeit des überörtlichen Trägers. Hörgerät als Eingliederungshilfeleistung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Aufwendungsersatz nach § 91 SGB 10
Orientierungssatz
1. In § 264 Abs 7 SGB 5 idF vom 14.11.2003 wird keine abschließende Zuständigkeitsregelung für die Kostentragung im Rahmen der Gewährung von Sozialhilfeleistungen getroffen; es besteht keine Regelung dahingehend, welcher Sozialhilfeträger - der örtliche oder der überörtliche - letztlich zur Kostentragung für einzelne Kranken- und Eingliederungshilfen verpflichtet ist. Vielmehr findet eine Kostenerstattung zwischen den Krankenkassen und den für die Hilfe zuständigen Trägern der Sozialhilfe statt.
2. Das Erstattungsbegehren zwischen örtlichem und überörtlichem Sozialhilfeträger richtet sich nach den Vorschriften im BSHG bzw SGB 12 und den hierzu erlassenen landesgesetzlichen Regelungen.
3. Entstanden die Kosten für einen Erstattungsanspruch noch im Jahr 2004 und erstattete der örtliche Träger diese Kosten auch noch in 2004, machte den Erstattungsanspruch jedoch erst 2005 gegenüber dem überörtlichen Träger geltend, so ist aufgrund des inhaltlich gleichen Rechts nicht zu entscheiden, welches Recht (BSHG bis 31.12.2004 bzw SGB 12 ab 1.1.2005) anzuwenden ist.
4. Erhält ein Behinderter ein Hörgerät, das (ab dem 1.1.2005) den Anschaffungspreis von 180 Euro übersteigt, so stellt dieses ein größeres Hilfsmittel iS des § 100 Abs 1 Nr 2 BSHG bzw § 97 Abs 2 S 1 SGB 12 iVm § 2 Abs 1 Nr 4 SGB12AGAV NW, und eine Leistung der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB 12 bzw § 40 BSHG dar. Die Eingliederungsbestimmungen gehen als speziellere Normen denen der Krankenhilfe vor. Die Krankenkasse kann daher ihre Aufwendungen vom Träger der Sozialhilfe nach § 91 SGB 10 ersetzt verlangen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 07.02.2006 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Aufwendungen für eine Hörhilfe in Höhe von 895,73 Euro zu erstatten. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 895,73 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für eine Hörhilfe, die Frau S (S) erhalten hat.
Die Klägerin gewährte der 1995 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Frau S. (geb. 00.00.1933) bis 31.12.2004 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und ab 1.1.2005 Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch 12 - Sozialhilfe - (SGB XII). S. ist nicht Mitglied einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung. Die Krankenbehandlung wurde ab 1.1.2004 nach § 264 Absatz 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) von der AOK Bochum übernommen. Diese trug im Januar 2004 zunächst auch die Kosten einer Hörhilfe in Höhe von EUR 895,73, deren Erstattung sie mit Leistungsaufstellung vom 18.10.2004 bei der Klägerin geltend machte. Sie wies den Betrag am 26.11.2004 an.
Die Klägerin meldete ihrerseits mit Schreiben vom 16.2.2005 einen Erstattungsanspruch bei dem Beklagten mit der Begründung an, dieser habe die Kosten zu tragen, weil sie Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht habe, für die der Beklagte zuständig sei. Der Beklagte lehnte den Erstattungsanspruch mit der Begründung ab, es bestehe hierfür keine Rechtsgrundlage (Schreiben vom 10.3.2005).
Die Klägerin hat am 15.6.2005 Klage erhoben. Sie hat zu deren Begründung vorgetragen, dass den Krankenkassen seit 1.1.2004 nur die Abwicklung der Krankenversorgung übertragen worden sei, so dass es sich bei den Leistungen selbst weiterhin um solche der Krankenhilfe gemäß § 37 BSHG (in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung - im Folgenden a.F.) gehandelt habe. Der örtliche Sozialhilfeträger bediene sich insoweit nach § 264 Absatz 2 SGB V lediglich zur Durchführung dieser Aufgaben Dritter - der Krankenkasse -, deren Aufwendungen zu erstatten seien. Die Zuständigkeitsregelung des § 100 BSHG a.F. sei daher hinsichtlich der Gewährung eines "größeren anderen Hilfsmittels", zu dem das Hörgerät vorliegend zu zählen sei, unberührt geblieben. Für die Versorgung der Behinderten sei damit gemäß § 100 Absatz 1 Nr. 2 BSHG a.F. der überörtliche Träger der Sozialhilfe weiterhin zuständig geblieben. Erstatte somit der örtliche Sozialhilfeträger der Krankenkasse die erbrachten Aufwendungen, für die jedoch gemäß § 100 BSHG a.F. der überörtliche Leistungsträger zuständig gewesen sei, so handele er als unzuständiger Träger und könne gemäß § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) die Erstattung seiner Aufwendungen verlangen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Erstattungsregelung des § 264 Absatz 7 SGB V stelle als Sonderregelung eine selbstständige Bestimmung des endgültig zur Tragung der Kosten der Krankenversorgung Verpflichteten dar. § 100 BSHG a.F. sei daher nicht anwendbar. A...