Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Klagerücknahme gem § 102 SGG. Widerruf nur gem §§ 579, 580 ZPO

 

Orientierungssatz

Eine Klagerücknahme gem § 102 SGG kann grundsätzlich weder angefochten noch widerrufen werden (vgl BSG vom 20.12.1995 - 6 RKa 18/95). Ihr Widerruf ist nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen der Nichtigkeits- oder Restitutionsklage gem §§ 579, 580 ZPO möglich (vgl BSG vom 14.6.1978 - 9/10 RV 31/77 = SozR 1500 § 102 Nr 2).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 04.11.2009; Aktenzeichen B 14 AS 81/08 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.11.2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrte mit seinem am 02.07.2007 bei der Beklagten eingegangenen Antrag Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Am 17.08.2007 hat er vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Grundsicherungsleistungen erhoben. Mit Bescheid vom 29.08.2007, den der Kläger dem SG unter Hinweis auf seinen dagegen eingelegten Widerspruch am 03.09.2007 übersandt hat, hat die Beklagte die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen abgelehnt.

Auf Hinweis des SG, dass die Klage mangels Abschluss des Vorverfahrens unzulässig sei und die Rücknahme der Klage angeregt werde, hat der Kläger mit Schreiben vom 05.09.2007 erklärt: "Ich ziehe meine Klage und den Prozesskostenhilfeantrag vorläufig zurück. Sobald die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, werde ich gegebenenfalls die Klage und den Prozesskostenhilfeantrag erneut einreichen." Am 08.10.2007 hat er die Rücknahme dieser Klagerücknahme erklärt, weil sie vom Gericht nahegelegt worden und fakultativ sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 02.11.2007 hat das SG festgestellt, dass die Klage durch Rücknahme vom 06.09.2007 erledigt sei. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen den ihm am 08.11.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.12.2007 Berufung eingelegt, mit der er geltend macht, er habe der Beklagten bereitwillig alle Auskünfte erteilt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des SG Düsseldorf vom 02.11.2007 aufzuheben und unter Fortsetzung des Verfahrens die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 29.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2007 Grundsicherungsleistungen zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte seine Entscheidung in Abwesenheit der Beteiligten treffen, weil diese zuvor mit der Ladung auf diese Möglichkeit, die aus dem Regelungsgehalt der §§ 110 Abs. 2 Satz 1, 124 , 126 , 153 Sozialgerichtsgesetz - SGG - folgt, hingewiesen worden sind.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat zu Recht festgestellt, dass der Rechtsstreit erledigt ist.

Nach § 102 Satz 1 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die hier mit Schreiben vom 05.09.2007 abgegebene Erklärung ist eine wirksame Klagerücknahme. Diese muss als Prozesshandlung eindeutig, klar, unmissverständlich und bedingungslos ausgesprochen werden (BSG, Urt. v. 29.05.1980 - 9 RV 8/80). Der Kläger hat unmissverständlich erklärt, dass er die Klage zurückziehe. Die Hinzusetzung des Wortes "vorläufig" bedeutet insoweit keine Einschränkung. Sie muss im Zusammenhang mit dem nachfolgenden Satz gesehen werden, dass die Klage gegebenenfalls erneut eingereicht werde. Damit hat der Zusatz "vorläufig" aber nur die Bedeutung, dass eine erneute Klageerhebung in derselben Angelegenheit vorbehalten werde (zur Möglichkeit der erneuten Klageerhebung vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Aufl., § 102 Rn. 11), sofern die Sachurteilsvoraussetzungen gegebenenfalls eintreten sollten. Dem entspricht die spätere Erklärung, dass die "Klagerücknahme zurückgenommen" werde, woraus sich ergibt, dass auch der Kläger seine Erklärung uneingeschränkt dahin verstanden hat, dass er das Verfahren beenden wollte.

Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 S. 2. SGG). Die Rücknahme der Klage kann grundsätzlich weder angefochten noch widerrufen werden (BSG Urt. v. 20.12.1995 - 6 Rka 18/95).

Ihr Widerruf ist nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen der Nichtigkeits- oder Restutionsklage (§§ 579 , 580 Zivilprozessordnung - ZPO -) möglich (BSG Urt. v. 14.06.1978 - 9/10 RV 31/77 - = SozR 1500 § 102 Nr. 2). Deren Voraussetzungen sind aber offensichtlich nicht erfüllt. Dies macht auch der Kläger nicht geltend, sondern er beruft sich lediglich darauf, dass ihm die Klagerücknahme durch das Gericht nahegelegt worden sei. Dies steht aber keinem der in den §§ 579 , 580 ZPO genannten Gründen...

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