Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Warschau. rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Zwangsarbeit. eigener Willensentschluss. Entgeltlichkeit. Lebensmittelbezug

 

Orientierungssatz

1. Zur Glaubhaftmachung einer Beschäftigung iS des § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 ZRBG im Ghetto Warschau in der Zeit von Juni 1942 bis April 1943.

2. Allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines Verhältnisses zur erbrachten Leistung haben keinen Entgeltcharakter mehr (vgl BSG vom 7.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R = BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.12.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von fiktiven Beitragszeiten nach Maßgabe der Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Der ... 1909 in K/Polen geborene Kläger ist jüdischen Glaubens und lebt seit 1949 in Israel. Er besitzt die israelische Staatsbürgerschaft. Er war nach seinen Angaben von September 1939 bis Juli 1944 nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt; nach Auskünften der Bundeszentralkartei vom 05.12.2003, 24.03.2006 und 16.11.2007 ist ein Entschädigungsverfahren nach dem BEG für den Kläger nicht aktenkundig. Die Claims Conference in Frankfurt hat am 15.11.2006 mitgeteilt, dass der Kläger keine Rente nach Artikel 2 Fund bezieht. Auf seinen Antrag vom 27.04.2001 hin wurde ihm eine Zwangsarbeiterentschädigung nach dem Stiftungsgesetz aufgrund seines Verfolgungsschicksals in den Ghettos Sandomierz und Warschau in den Jahren 1939 bis 1943 und im Warschauer Gefängnis Pawiak in den Jahren 1943 bis 1945 gewährt. Im dortigen Antragsformular ist als Ort/Zeitpunkt der verrichteten Zwangsarbeit Warschau 1942 angegeben.

Am 20.06.2003 (Eingang bei der Beklagten) beantragte der Kläger die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten nach dem ZRBG. Im Rentenantragsformular vom 04.12.2003 gab er hierzu als Beschäftigungszeitraum Juni 1942 bis April 1943 - Ghetto Warschau - an. Die Höhe des Entgelts sei ihm nicht erinnerlich. Er habe nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört. In dem hierzu vorgelegten Fragebogen (unterschrieben am 06.01.2004) führte der Kläger weiter aus, er habe außerhalb des Ghettos Warschau in der Bürstenfabrik acht bis zehn Stunden täglich gearbeitet. Er sei auf dem Weg von und zur Arbeit durch jüdische Polizei bewacht worden. Die Arbeit habe er durch Vermittlung des Judenrates erhalten. Er habe für seine Tätigkeit weder Sachbezüge noch Bargeld bekommen. Die Arbeit sei durch zusätzliche Lebensmittel und Lebensmittelcoupons entlohnt worden.

Mit Bescheid vom 07.10.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG ab. Ein Entschädigungsvorgang habe nicht ermittelt werden können. Die vorliegenden Unterlagen reichten nicht aus, die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer freiwilligen und entgeltlichen Tätigkeit anzunehmen.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und führte in einer vor einem israelischen Rechtsanwalt abgegebenen Erklärung vom 09.03.2005 aus, er habe sich von Juni 1942 bis April 1943 im Ghetto Warschau befunden. Schon von den ersten Tagen seines Aufenthaltes im Ghetto an habe er beim Judenrat um Arbeit gebeten und habe sie in der Bürstenfabrik bekommen, die sich außerhalb des Ghettos befunden habe. Man sei nur auf dem Weg von und zur Arbeit von jüdischer Polizei bewacht worden. Für seine Arbeit habe er wöchentlich von der Verwaltung der Bürstenfabrik zusätzliche Lebensmittel für zuhause und auch Lebensmittelcoupons bekommen, für die er auch Lebensmittel im Laden habe kaufen können und die sein Leben sehr erleichtert hätten. Da er schon sehr alt sei, könne er sich an die Höhe nicht mehr erinnern. Zeugen habe er leider nicht mehr.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei den Arbeitsverrichtungen des Klägers in Warschau habe es sich um eine für die damalige Zeit nationalsozialistischer Verfolgung typische Form der Zwangsarbeit unter direkter Kontrolle und Aufsicht der Besatzer bei Unterbringung im Ghetto und notdürftiger Versorgung gehandelt. Ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis auf freiwilliger Basis im Ghetto Warschau sei nicht überwiegend wahrscheinlich.

Hiergegen hat der Kläger am 04.04.2005 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben und unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens geltend gemacht, er habe von Juni 1942 bis April 1943 im Ghetto Warschau freiwillig eine Arbeit in der Bürstenfabrik verrichtet und wöchentlich Lebensmittel sowie Sachbezüge (Kleidung insbesondere Unterkunft und Heizmaterial) sowie Lebensmittelcoupons erhalten. Nach den ...

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