Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs. Entlassungsentschädigung. ordentliche Unkündbarkeit. Nichteinhaltung der fiktiven Kündigungsfrist. tarifliche Zulässigkeit der Kündigung bei Betriebsänderung ohne Sozialplan
Orientierungssatz
1. § 143a Abs 1 S 4 SGB 3 findet keine Anwendung, wenn der ordentlich unkündbare Arbeitnehmer bei einer Betriebsänderung iS von § 111 BetrVG nach den tariflichen Vorschriften auch ohne Sozialplan und Zahlung einer Abfindung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gekündigt werden kann (vgl LSG Essen vom 26.1.2005 - L 12 AL 5/04).
2. Soweit der Senat im Hinblick auf die Anwendung des § 143a Abs 1 S 4 SGB 3 dem Umstand der Vermutung, dass die Abfindung nicht ausschließlich als Ausgleich für den Verlust eines sozialen Besitzstandes gezahlt wird, sondern auch untergehende Arbeitsentgeltansprüche ausgleichen soll, eine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat (vgl LSG Essen vom 24.10.2001 - L 12 AL 111/00 und vom 11.12.2002 - L 12 AL 20/02), wird an dieser Rechtsprechung nicht mehr festgehalten.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.12.2003 wird geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2003 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ab 01.05.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Zahlung einer Abfindung.
Der 1943 geborene Kläger war in der Zeit vom 21.09.1978 bis 30.04.2003 als Schlosser bei der T und C KG (im Folgenden: Arbeitgeberin) beschäftigt. Auf sein Beschäftigungsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen (MTV) Anwendung. Die Kündigungsfrist des Arbeitgebers betrug nach einer Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren 7 Monate zum Ende eines Kalendermonats (§ 20 Nr. 3 MTV). Außerdem galt folgender Kündigungsschutz (§ 20 Nr. 4 MTV): "Beschäftigten, die das 55. Lebensjahr, aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb/Unternehmen 10 Jahre angehören, kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dies gilt auch bei Änderungskündigungen im Einzelfall zum Zwecke der Entgeltminderung; nicht jedoch - bei allen sonstigen Änderungskündigungen oder - bei Betriebsänderung, wenn ein anderer zumutbare Arbeitsplatz nicht vorhanden ist oder - bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien."
Das Arbeitsverhältnis wurde am 18.09.2002 zum 30.04.2003 gekündigt. Der Kläger meldete sich zum 01.05.2003 arbeitslos.
Am 16.08. 2002 schlossen der Betriebsrat der Arbeitgeberin und diese einen Interessenausgleich und einen Sozialplan, da es in der Firma zu umfangreichen Umstrukturierungen, einhergehend mit Betriebsänderungen, kommen sollte. In der Präambel des Interessenausgleiches war festgelegt, dass die Arbeitgeberin im Rahmen einer umfangreichen Analyse der betrieblichen Abläufe unter Beteiligung einer Unternehmensberatung in zahlreichen Bereichen Potenzial erkannt habe, um die Personaleffizienz zu optimieren. Es müssten gegenüber 210 Mitarbeitern betriebsbedingte Beendigungskündigungen ausgesprochen werden. Die betroffenen Mitarbeiter seien in der Anlage 1 - dort ist der Kläger aufgeführt - zu diesem Interessenausgleich mit den dazugehörigen Sozialdaten aufgeführt. Diese Liste sei Bestandteil dieser Vereinbarung. Nach § 2 des Interessenausgleiches sollte unter Beachtung der gesetzlichen und/oder tarifvertraglichen Kündigungsfristen eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Im Sozialplan vom 16.08.2002 hieß es in der Präambel, dass er zum Ausgleich und zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile vereinbart werde, die den Mitarbeitern durch die im Interessenausgleich geregelte Betriebsänderung entstehen würden und dass die betroffenen Arbeitnehmer eine Abfindungsregelung erhalten würden. Der Kläger erhielt eine Abfindungsregelung in Höhe von 38.854,24 EUR.
Mit Bescheid vom 15. April 2003 stellte die Beklagte das Ruhen des Leistungsanspruchs bis zum 07.08.2003 fest. Zur Begründung verwies sie auf § 143a des Dritten Buches Sozialgesetzbuches - Arbeitsförderung - (SGB III), weil eine Kündigung des Klägers durch den Arbeitgeber nur durch Zahlung einer Abfindung möglich gewesen sei.
Hiergegen hat der Kläger am 22.04.2003 Widerspruch eingelegt mit der Begründung, dass die Entlassungsentschädigung nicht Voraussetzung für die ordentliche Kündigung seitens des Arbeitgebers gewesen sei.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 24.04.2004 zurück. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe der Kläger sein 59. Lebensjahr vollendet. Die Betriebszugehörigkeit habe 24 Jahre betragen. Die gewährte Leistung von 38.854,34EUR sei daher mit einem Anteil von 25 v.H., also mit 9.713,59EU...