Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Ghetto Pogrebiszcze. Zahlbarmachung von Ghettorenten

 

Orientierungssatz

1. Der erkennende Senat hält im Kern an der vom 13. Senat des BSG im Urteil vom 7.10.2004 - B 13 RJ 59/03 = BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1 vertretenen Auffassung fest, dass es sich bei den Vorschriften der §§ 1 bis 3 ZRBG um Bestimmungen handelt, die auf dem Boden der bis zum Jahr 2002 ergangenen sogenannten Ghettorechtsprechung des 5. und 13. Senats des BSG stehen und die das bis dahin in Kraft befindliche Rentenrecht einschließlich des Fremdrentengesetzes (FRG) und des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ergänzen und nur teilweise verdrängen.

2. Der Auffassung des 4. Senats des BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R als Entgelt iS des § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b ZRBG genüge jede Zuwendung wegen geleisteter Arbeit, unabhängig von ihrer Art oder Höhe, vermag der erkennende Senat nicht beizutreten. Soweit der 4. Senat des BSG ausführt, das Nichtvorliegen von Zwangsarbeit sei keine Tatbestandsvoraussetzung des § 1 ZRBG, folgt der erkennende Senat dem nicht. Das gilt auch für die Annahme des 4. Senats, dass nach § 1 Abs 3 ZRBG die Entstehung eines Rechts auf Altersrente, soweit sie auf der gleichgestellten Vorleistung von Ghettobeitragszeiten iS des ZRBG beruht, die Erfüllung einer allgemeinen Wartezeit von 60 Monaten nicht voraussetzt.

3. Eine freiwillige Beschäftigung "aus eigenem Willen" scheidet dann aus, wenn der Arbeitende von hoher Hand unter Ausschluss jeder freien Willensbetätigung zur Arbeit gezwungen wurde, zB bei Strafgefangenen oder KZ-Häftlingen. Ein eigener Willensentschluss iS des ZRBG liegt demgegenüber vor, wenn die Arbeit vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto jedenfalls auch noch auf einer wenn auch auf das Elementarste reduzierten Wahl zwischen wenigstens zwei Verhaltensmöglichkeiten beruhte. Solange NS-Verfolgte hinsichtlich des Zustandekommens und/oder der Durchführung der zugewiesenen angebotenen Arbeiten noch eine gewisse Dispositionsbefugnis hatten, sie also die Annahme und/oder Ausführung der Arbeiten gegenüber dem, der sie ihnen zuwies, auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben und ihre Restfreiheit ablehnen konnten, liegt keine Unfreiwilligkeit vor, auch dann nicht, wenn sie deshalb mangels eines Entgelts weniger oder nichts mehr zu Essen hatten. Gleiches gilt für eine nur den Zwangsaufenthalt im Ghetto aufrecht erhaltende, also vor allem eine fluchtverhindernde Bewachung bei Beschäftigungen außerhalb des räumlichen Ghettobereichs (vgl BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R aaO).

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2005 geändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2004 verurteilt, der Klägerin Altersrente ab 01.07.1997 unter Herstellung einer Ghetto-Beitragszeit nach dem ZRBG von November 1941 bis Juni 1942 - gegebenenfalls nach Entrichtung freiwilliger Beiträge - nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat 3/4 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus dem gesamten Verfahren zu tragen. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Regelaltersrente nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG), das der Deutsche Bundestag im Jahr 2002 einstimmig erlassen hat (Bundesgesetzblatt - BGBl - Teil I 2074).

Die Klägerin wurde 1926 in Q im Kreis W geboren. Ihr Vater war Kürschner, ihre Mutter Hausfrau. Sie hatte vier Geschwister, darunter einen jüngeren Bruder. Die Muttersprache zu Hause war Jiddisch. Alle Familienangehörigen der Klägerin wurden im Krieg ermordet. Der Klägerin gelang die Flucht in ein Versteck bei einem polnischen Bauern. Nach dem Krieg wanderte die Klägerin über Litauen und Polen 1958 nach Israel ein. 1966 beantragte sie eine Beihilfe nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) und gab dazu in einer eidesstattlichen Versicherung, die in deutscher Sprache verfasst war, folgendes an:

"Unsere Ortschaft wurde Mitte Juli 1941 durch die deutschen Truppen besetzt. Bald wurden antijüdische Maßnahmen vorgenommen. Juden ab 10 Jahre alt mussten den Judenstern tragen. Ich musste Zwangsarbeit für die Deutschen leisten (wie Aufräumungsarbeiten, Feldarbeiten, Ausladen und Aufladen von verschiedenen Lasten auf der Bahnstation und anderes). Am 19.10.1941 wurde eine Aktion gegen die jüdische Bevölkerung der Ortschaft durchgeführt. Im Zuge deren wurden Juden im Walde erschossen und die am Leben verbliebenen Juden wurden in einem Ghetto konzentriert. Wir wurden in einer Straße konzentriert und durften nicht diese Straße verlassen. Ich habe weiter Zwangsarbeit geleistet. Es wurden weitere Vernichtungsaktionen durchgeführt. Die Zahl der Juden hat ...

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