Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung: Anerkennung einer Berufskrankheit. Anforderung an den Nachweis der Einwirkung eines schädigenden Stoffes als Ursache einer Berufskrankheit. Voraussetzung der Annahme einer Wie-Berufskrankheit

 

Orientierungssatz

1. Die Annahme einer Berufskrankheit, die aus dem Kontakt mit Quecksilber resultiert, ist auch bei nur einmaligem Kontakt möglich.

2. Für die Annahme einer Berufskrankheit nach schädlicher Einwirkung eines Stoffes (hier: Quecksilber) muss im Vollbeweis bewiesen sein, dass der Betroffene tatsächlich der Einwirkung dieses Stoffes ausgesetzt war.

3. Fehlt es schon an einem Nachweis, dass ein Kontakt zu einem schädigenden Stoff bestand, der eine Gesundheitsschädigung verursachen kann, kommt auch die Annahme einer Wie-Berufskrankheit nicht in Betracht.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.10.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 1102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV, Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen), Ziffer 1302 BKV (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe), sowie einer Wie-BK nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).

Der am 00.00.1976 geborene Kläger war vom 16.05.2000 bis zum 31.10.2005, unterbrochen durch drei Forschungsaufenthalte in den USA, als Diplomand bzw. Doktorand beim Max-Planck-Institut für Kohlenforschung N (MPI) tätig, wobei die praktischen experimentellen Arbeiten im März 2003 abgeschlossen wurden. Nach eigenen Angaben war der Kläger zuvor bereits im März/April 2000 Praktikant beim MPI. Ausweislich einer Mitteilung von Prof. Dr. T, Direktor am MPI, unter dessen Leitung der Kläger tätig war, vom 03.07.2000 an Dr. T1, Institut für Anatomie der WWU N, habe der Kläger an diesem Tag wegen eines außer Kontrolle geratenen Versuchsansatzes dringend ins Institut kommen müssen, um die einzuleitenden Maßnahmen abzustimmen. Der Kläger habe daher am Anatomiekurs nicht teilnehmen können, da er (Prof. Dr. T) aus Sicherheitsgründen auf dessen Anwesenheit habe bestehen müssen. Zudem habe der Kläger bei Entsorgungsarbeiten Pyridin und Piperidin eingeatmet, worauf es zu Unwohlsein und später zu Durchfall und Erbrechen gekommen sei.

Unter dem 05.03.2009 erstattete das MPI eine Unternehmeranzeige bei Anhaltspunkten für eine BK und führte als Krankheitserscheinungen eine Störung des Immunsystems in Form multipler Allergien auf, asthmatische Erscheinungen nachts, ein stark ausgeprägtes Sicca-Syndrom (Augen, Nase, Mund, Ohren), aphthöse Geschwüre in Mund, Nase, Magen und Genitalbereich, eine Polyneuropathie (insbesondere Hände, Füße und Unterschenkel), Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Bluthochdruck, Sensibilisierung gegenüber polychlorierten Biphenylen (PCB) sowie diverse Unverträglichkeiten auf Waschmittel, Parfüms, Deodorant usw. Der Beginn der Beschwerden werde vom Kläger und dem behandelnden Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie, Hämatologie Prof. Dr. med. Dipl. Biochem. N, wo der Kläger seit 13.07.2006 in Behandlung war, in zeitlichen Zusammenhang mit der Entsorgung von Chemikalien aus einem Kühlschrank im Frühjahr/Sommer 2000 im MPI gestellt.

Die Beklagte zog Befund- und Behandlungsberichte sowie Auskünfte der Krankenkasse des Klägers (TKK) über Leistungszeiten bei und holte eine Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung zur Arbeitsplatzexposition ein. Die Stellungnahme wurde von Dr. T2 und Dr. N1 am 21.09.2009 nach Gesprächen mit dem Kläger, Prof. Dr. T und Dr. U vom MPI sowie Herrn N, Fachkraft für Arbeitssicherheit am MPI bis 10/2008, ferner auf der Basis von zwei Schreiben des Klägers sowie eines Schreibens von Dr. U vom 24.03.2009 erstellt. Danach habe der Kläger im Zeitraum vom 16.05.2000 bis März 2003 bei wissenschaftlich-experimentellen Labortätigkeiten Kontakt zu einer Vielzahl im Einzelnen aufgeführte Chemikalien gehabt. Die Verwendung von PCBs und Quecksilberverbindungen habe seitens des MPI nicht bestätigt werden können. Bei Entsorgungs- und Aufräumarbeiten an einem Kühlschrank Ende Juni/Anfang Juli 2000 sei der Kläger in Kontakt mit teils unbekannten Chemikalien gekommen. Während der Forschungsarbeiten hätten im Labormaßstab wechselnde Gefährdungen im Sinne der BK-Gruppe 13 bestanden. Aufgrund der zwar geringfügigen, aber doch vorhandenen Kontaktmöglichkeiten mit neuen biologisch aktiven Substanzen solle gutachterlich die Anwendung von § 9 Abs. 2 SGB VII geprüft werden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme, Bl. 165 ff. der Verwaltungsakte, verwiesen.

In der Folgezeit erfolgten weitere Nachfragen der Beklagten an Dr. U vom MPI zu den verwendeten Chemikalien. Das Laborjournal des Klägers war nicht mehr auffindbar, da es bereits im Rahmen einer umzugsbedingten Aufräumaktion im Jahr 2004 abhanden gekommen sei. Es besteh...

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