nicht rechtskräftig

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.05.2001; Aktenzeichen S 10 (3) RJ 163/98)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.10.2004; Aktenzeichen B 13 RJ 59/03 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.05.2001 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Regelaltersrente für die Klägerin unter Anerkennung einer Beitragszeit von Mai bis November 1940 zu Recht erfolgt ist.

Die am 00.00.1919 in M/Polen geborene Klägerin ist jüdischer Abstammung. Nach ihren Angaben besuchte sie in M von 1936 bis 1938 die Städtische Volksschule und das Gymnasium sowie von 1938 bis 1939 die Abendhandelsschule. Von 1930 bis 1945 wurde sie nationalsozialistisch verfolgt. 1945 wanderte sie über Belgien, Holland und Frankreich nach Israel aus; dorthin gelangte sie im Januar 1947 und erwarb 1948 die israelische Staatsangehörigkeit.

Am 08.03.1994 beantragte sie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Gewährung einer Rente. Sie machte geltend, bis Kriegsausbruch in M bei N M als Buchhalterin in dessen Seidenwarenfabrik sowie nach dem Krieg im DP-Lager I (April bis Juni 1945) tätig gewesen zu sein. Von Mai 1940 bis 1941 sei sie als Aufräumerin in der Offizierskantine X tätig gewesen; hierfür sei sie wenig bezahlt, jedoch verpflegt worden und habe bei Schließung des Ghettos (in dem die Klägerin in X wohnte) noch eine große Menge Proviant mitbekommen. Nach Beiziehung der Entschädigungsakte der Klägerin sowie Ermittlungen bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Sachsen-Anhalt lehnte die BfA mit Bescheid vom 29.05.1995 die Anerkennung einer Beitragszeit vom 01.05. bis 30.06.1945 mit der Begründung ab, eine Beitragszahlung sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden.

Sodann gab die BfA den Vorgang zuständigkeitshalber an die Beklagte ab.

Mit Bescheid vom 29.12.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.1998 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rentengewährung wegen Beschäftigungszeiten während eines Ghettoaufenthalts ab. Bei den Arbeiten im Ghetto habe es sich um Zwangsarbeiten gehandelt, die nicht der Versicherungspflicht unterlegen hätten. Juden im Generalgouvernement hätten nach der 2. Durchführungsverordnung vom 12.12.1939 zur Verordnung vom 26.10.1939 grundsätzlich dem Arbeitszwang unterlegen, so dass der Arbeitseinsatz als Zwangsarbeit anzusehen sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 12.08.1998 Klage erhoben. Sie habe die Arbeit im Ghetto X trotz Arbeitszwanges aus freiem Willensentschluss verrichtet, um sich finanziell über Wasser zu halten. Die Beklagte unterlaufe eine Grundsatzentscheidung des BSG zu Arbeitsverhältnissen im Ghetto mit fragwürdigen Behauptungen.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.12.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.1998 zu verurteilen, der Klägerin unter Berücksichtung der im Ghetto X geleisteten Arbeitszeit als Beitragszeit Altersrente zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat (nach Durchführung einer Sprachprüfung in Israel am 11.02.1999 mit positivem Ergebnis und guter deutscher Schreib- und Lesefähigkeitsprüfung) vorgetragen, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen nach § 17a des Fremdrentengesetzes (FRG) sowie nach § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Unabhängig von der rechtlichen Bewertung sehe sie folgende Zeiten als nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht an: Dezember 1939 bis 30.04.1940 Verfolgungsersatzzeit Mai 1940 bis 15.11.1940 Arbeitszeit (Ghetto X) 16.11.1940 bis 13.04.1945 Verfolgungsersatzzeit 14.04.1945 bis 31.12.1946 pauschale Ersatzzeit Wegen Ausübung im Generalgouvernement und des dort bestehenden Arbeitszwangs für Juden sei die Arbeit jedoch als Zwangsarbeit anzusehen; ein Beschäftigungsverhältnis i.S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe damit nicht bestanden.

Die Klägerin hat sich mit den von der Beklagten genannten Zeiten einverstanden erklärt. Es habe sich allerdings bei der Arbeit in der Kantine nicht um Zwangsarbeit gehandelt, sondern um eine ihr vom jüdischen Komitee zugeteilte Tätigkeit, für die sie nicht entlohnt, aber erstklassig verpflegt worden sei. Zwang habe nur insofern bestanden, als nicht arbeitende Personen mit Deportation hätten rechnen müssen.

Die Beklagte hat daraufhin ergänzend vorgetragen, zwar sei nunmehr in Betracht zu ziehen, dass die Klägerin ihr Beschäftigungsverhältnis aus freier Willensentscheidung aufgenommen habe. Da sie aber keinen Barlohn erhalten habe, habe es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis gegen Entgelt gehandelt (§ 1226 a.F. Reichsversicherungsordnung - RVO - ). Nach § 1227 a.F. RVO sei eine Beschäftigung gegen freien Unterhalt in Form von Sachbezügen versicherungsfrei...

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