Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung eines erhöhten Zugangsfaktors für eine bereits bewilligte Rente bei nachträglicher Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit

 

Orientierungssatz

1. Eine in einem Ghetto zurückgelegte Beschäftigung ist nach § 3 Abs. 2 ZRBG als Ghettobeitragszeit anzuerkennen, wenn der Versicherte während seines dortigen Aufenthalts eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt hat.

2. Der Anwendung des § 3 Abs. 2 ZRBG steht nicht entgegen, dass die Zeit vom Rentenversicherungsträger bereits vor Verkündung des ZRBG als Beitragszeit anerkannt worden ist.

3. Damit kommt der erhöhte Zugangsfaktor des § 3 Abs. 2 ZRBG dem Versicherten unabhängig von der Bestandskraft eines zuvor ergangenen Rentenbescheides zugute.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.10.2015 geändert. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.6.2013 in der Fassung des Bescheides vom 20.10.2014 verurteilt, der Klägerin höhere Altersrente ab dem 1.7.1997 unter weiterer Berücksichtigung eines erhöhten Zugangsfaktors von 1,55 für die zusätzlich ermittelten 6,3828 Entgeltpunkte zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) eine höhere Altersrente unter weiterer Berücksichtigung eines erhöhten Zugangsfaktors von 1,55 für zusätzlich ermittelte 6,3828 Entgeltpunkte (EP).

Die Klägerin wurde am 23.12.1923 in Sosnowiec in Polen als polnische Staatsbürgerin geboren. In der Zeit vom 15.11.1939 bis Mai 1945 war sie aufgrund ihrer jüdischen Abstammung durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen ihrer Freiheit beraubt bzw. in ihrer Freiheit beeinträchtigt. Von Februar 1941 bis Mai 1943 legte sie im Ghetto Sosnowiec, das sich seinerzeit in Oberschlesien und damit einem dem Deutschen Reich eingegliederten Gebiet befand, eine Beitragszeit zurück, die später von der Beklagten als Ghettobeitragszeit im Sinne des § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) anerkannt wurde. Seit dem 28.7.1948 lebt sie in Israel und ist israelische Staatsangehörige. Sie ist Verfolgte i.S.d. § 1 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz [BEG]).

Die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährte ihr mit Bescheid vom 26.2.1991 ab dem 1.4.1990 aufgrund eines am 30.9.1984 eingetretenen Leistungsfalles vorgezogenes Altersruhegeld gemäß § 25 Abs. 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) alter Fassung (a.F.) unter Berücksichtigung der Zeit vom 1.1.1956 bis zum 31.12.1979 aufgrund nachgezahlter freiwilliger Beiträge gemäß Art. 12 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 17.12.1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherung (DV-DISVA) vom 20.11.1978 und eines durch Einzahlung im Jahr 1990 erworbenen Beitrags der Höherversicherung mit einem Wert von 840,00 DM.

Mit Bescheid vom 14.2.2000 berechnete die damalige Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz das Altersruhegeld der Klägerin mit Wirkung vom 1.4.1990 neu unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von Februar 1941 bis Mai 1943 sowie von Ersatzzeiten vom 15.11.1939 bis Januar 1941 und von Juni 1943 bis zum 31.5.1945. Dabei wandte sie die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) an und nahm anschließend eine Umwertung nach § 307 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vor, aus der sich 31,0256 persönliche EP (pEP) ergaben.

Mit Bescheid vom 30.1.2007 berücksichtigte die Beklagte zusätzlich die Zeit vom 1.6. bis 30.6.1945 als Ersatzzeit. Es ergaben sich 31,3127 pEP. Den auf die Anerkennung weiterer Ersatzzeiten über den 30.6.1945 hinaus gerichteten Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid v. 21.8.2007). Die hiergegen erhobene Klage (Sozialgericht [SG] Düsseldorf, S 15 R 297/07) nahm die Klägerin zurück.

Auf Antrag der Klägerin, ihr Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren, stellte die Beklagte die Rente der Klägerin unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Ersatzzeit vom 1.7.1945 bis zum 31.12.1949 neu fest (Bescheid v. 24.10.2012). Es ergaben sich 37,6955 pEP, auf welche die Beklagte den Zugangsfaktor (ZF) 1,0 anwandte. In dem Bescheid heißt es auf Seite 1 unter anderem wörtlich wie folgt:

"[ ] Ihr bisheriges Altersruhegeld wird neu festgestellt. Die erhöhte Rente beginnt am 1.1.2005. [ ].

Gründe für die Neufeststellung Die Gewährung der Rente erfolgt aufgrund des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungszeiten in dem Ghetto (ZRBG). Die Rente beginnt nach § 44 Abs. 4 SGB X am 1.1.2005 [ ]"

Auf Seite 2 des Bescheides wird unter anderem ausgeführt:

"Die vom 1.2.1941 bis 31.5.1943 zurückge...

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