Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer Ghetto-Beschäftigung als Beitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Minsk. ausreichendes Entgelt. Lebensmittel
Orientierungssatz
1. Zur Glaubhaftmachung einer behaupteten Beschäftigung im Ghetto Minsk in der Zeit von Juli 1941 bis Juni 1943 iS des ZRBG.
2. Bei einer Gewährung von Verpflegung, die über die Eigenversorgung hinaus geht, kann von einem Entgelt iS des ZRBG ausgegangen werden (vgl BSG vom 7.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R = BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.10.2006 geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2005 verurteilt, dem Kläger unter Berücksichtigung einer glaubhaft gemachten Ghettobeitragszeit von Juli 1941 bis Juni 1943 Regelaltersrente ab 01.07.1997 nach im Übrigen näherer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung. Dabei macht der Kläger Beitragszeiten für eine Beschäftigung im Ghetto Minsk von Juli 1941 bis Juni 1943 nach den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) geltend.
Der im März 1926 in M (damals UdSSR) geborene Kläger ist jüdischen Glaubens. Seit 1972 lebt er in Israel und besitzt die israelische Staatsbürgerschaft.
Nach dem Ergebnis einer Anfrage bei der Bundeszentralkartei der Bezirksregierung Düsseldorf hat der Kläger kein Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) durchgeführt.
In einem Antrag bei der Claims Conference (Art. 2 Fund) gab der Kläger 1993 an, er habe bei Kriegsausbruch mit seinen Eltern und Geschwistern in Minsk gelebt. Im Juli 1941 seien sie in das Ghetto Minsk geschickt worden. Am 7.11.1941 seien sein Vater und Großvater während der ersten Vernichtungsaktion getötet worden. Er sei mit seiner Mutter und den Geschwistern zurückgeblieben. Sie hätten an Hunger und Kälte gelitten. Er sei gezwungen gewesen, schwere Zwangsarbeiten zu verrichten. Er habe bei den Schienen der Eisenbahn gearbeitet. 1943 seien seine Mutter und alle Geschwister während einer weiteren Vernichtungsaktion getötet worden. Nur diejenigen seien am Leben geblieben, die zu dieser Zeit bei der Arbeit gewesen seien. Im Sommer 1943 sei ihm die Flucht gelungen; er habe sich in den Wäldern bei den Partisanen versteckt.
Auf der Grundlage dieser Angaben und nach Vorlage des Partisanenbuches des Klägers (Aufenthalt im okkupierten Weißrussland im April 1943) gewährte der Art. 2 Fund der Claims Conference dem Kläger Leistungen.
2001 hat der Kläger bei dem Zwangsarbeiter-Fonds der Claims Conference eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals in Minsk im Jahr 1941 beantragt und erhalten.
Mit Antrag vom 04.11.2002 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers rückwirkend ab dem 01.07.1997 für den Kläger die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung nach dem ZRGB. Im Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung des ZRBG (ZRBG-Fragebogen) vom 28.10.2003 gab der Kläger an, er habe von August 1941 bis Juli 1943 außerhalb des Ghettos Minsk in einer Lederfabrik durch Vermittlung des Judenrates 10 bis 12 Stunden täglich Leder ausgeladen und hierfür Mittagessen und wöchentlich Lebensmittelkarten, deren Höhe ihm nicht erinnerlich sei, erhalten. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei er durch jüdische Polizei bewacht worden. Als Zeugen benannte der Kläger Herrn M G. Im förmlichen Rentenantrag vom 28.10.2003 gab der Kläger ergänzend an, nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben.
Mit Bescheid vom 16.03.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG ab. Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger von August 1941 bis Juli 1943 außerhalb des Ghettos Minsk in einer Lederfabrik gearbeitet habe. Gegenüber der Claims Conference habe er zu seiner Beschäftigung abweichende Angaben gemacht. Danach sei er "gezwungen gewesen, schwere Zwangsarbeiten zu verrichten", und hätte "bei den Schienen der Eisenbahn gearbeitet".
Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte Widerspruch, mit dem er eine Erklärung des Klägers vom 04.05.2005 übersandte. Darin führte der Kläger im wesentlichen aus, er habe sich von Sommer 1941 bis Sommer 1943 im Ghetto Minsk befunden. Die Lage im Ghetto Minsk sei sehr schwer gewesen, man habe ihnen überhaupt kein Essen gegeben. Darum habe er sich an den Judenrat mit der Bitte um Arbeit gewandt. Der Judenrat habe ihm Arbeit in der Lederfabrik gegeben. Dafür habe er jeden Tag Mittagessen und wöchentlich Lebensmittelkarten von der Fabrikleitung...