Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlbarmachung von Rente aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Schaulen -rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. eigener Willensentschluss. Entgeltlichkeit. Lebensmittelbezug
Orientierungssatz
1. Zum Vorliegen von Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto iS von § 1 Abs 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074) (hier: Beschäftigung im Ghetto Schaulen in der Zeit von August 1941 bis September 1943).
2. Soweit dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R = SozR 4-5075 § 1 Nr 3 - zu entnehmen sein sollte, dass auch der Erhalt von Lebensmitteln, die kaum den notwendigen Lebensbedarf gedeckt haben, als Entgelt iS des ZRBG ausreicht, folgt der Senat dieser Rechtsprechung nicht.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.02.2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe des im Juni 2007 verstorbenen Z R (R.) und begehrt als dessen Sonderrechtsnachfolgerin die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung nach den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten des R. im Ghetto Schaulen (damals Generalbezirk Litauen, Reichskommissariat Ostland) von August 1941 bis September 1943.
Der im Mai 1917 mit dem Geburtsnamen G in Taurogge (Litauen) geborene R. war jüdischen Glaubens und Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Seit 1971 lebte er in Israel und besaß die israelische Staatsbürgerschaft. Seine erste Ehefrau war mit einem der beiden gemeinsamen Söhne (geboren 1938) in der Verfolgung 1944 umgekommen, der zweite (1942 geborene) Sohn wuchs bei einer litauischen Familie auf. Die Klägerin ist die 2. Ehefrau des R., die dieser 1945 geheiratet hat; mit ihr hat R. zwei Kinder.
Ein Entschädigungsverfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz hatte R. nicht durchgeführt.
1982 hatte R. in einem Antrag beim Hardship Fund der Claims Conference angegeben, sie seien nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Taurogge nach Schaulen vertrieben worden. Dort sei bald in der Traku-Strasse ein Ghetto errichtet worden, in das sie eingewiesen worden seien. Er habe Zwangsarbeit leisten müssen und sei misshandelt worden. Im Jahre 1943 sei er zu Zwangsarbeiten ins ABA (Armeebekleidungsamt) genommen worden und so sei er mit seiner Familie ins Lager ABA eingewiesen worden. Auch dort habe er Zwangsarbeit leisten müssen, die über seine Kräfte gegangen sei. Im Juni 1944 sei während der Bombardierung des Lagers die Flucht gelungen. Der Hardship Fund gewährte R. aufgrund seiner Angaben eine einmalige Entschädigung in Höhe von 5000,- DM.
1993 hatte R. gegenüber dem Article 2 Fund der Claims Conference angegeben, er sei von Juni 1941 bis Dezember 1943 im Ghetto Schaulen gewesen und habe anschließend bis September 1944 in der Illegalität gelebt. In einer detaillierten Beschreibung der Verfolgung hatte er geschildert, er sei gleich nach Kriegsbeginn (06/41) in das Ghetto Schaulen eingeliefert worden. Dieses Ghetto sei auf dem Territorium der Lederfabrik "F" errichtet worden. Ihn habe man gezwungen, als Elektriker beim Bekleidungsamt der Wehrmacht zu arbeiten. Bezahlt worden sei für die Arbeit nichts, er habe nur schlechtes Essen bekommen. Das Leben im Ghetto sei in unmenschlichen Bedingungen verlaufen. Als der Krieg sich dem Ende genähert habe, sei ihm die Flucht gelungen. Er habe sich ein halbes Jahr oder etwas mehr in der Umgebung von Schaulen versteckt. Im Herbst 1944 sei er befreit worden.
Der Article 2 Fund gewährte R. aufgrund seiner Angaben eine laufende Beihilfe und eine einmalige Überbrückungszahlung (6500,- DM).
Gegenüber dem Zwangsarbeiterfonds der Claims Conference hatte R. 2001 angegeben, er habe 1941 im Ghetto Schaulen Zwangsarbeit verrichtet. Der Zwangsarbeiterfonds der Claims Conference gewährte ihm aufgrund seiner Angaben und nach Einsichtnahme in seine Entschädigungsakte beim Article 2 Fund eine Entschädigung aufgrund des Verfolgungsschicksals im Ghetto Schaulen im Jahre 1941.
Gegenüber der Beklagten hatte R. erstmals 1994 einen Antrag auf Rente (wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Alters) unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz gestellt. Darin hatte er u. a. angegeben, er habe 1931 eine Ausbildung zum Elektriker abgeschlossen, sei von Juli 1941 bis September 1944 verfolgt worden und habe sich im Ghetto Schaulen befunden. Die Zeugen Z G R und S I hatten damals bestätigt, dass R. sich ab Juli 1941 in der Verfolgung befunden habe. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Kläger nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehöre. Eine sich anschließende Klage (S 9 J 178/96) des R. war erfolglos.
Im Oktober 2002 beantragte R. bei der Beklagten die Gewährung einer Re...