Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Polizeieinsatz. Wohnungsdurchsuchung im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens. Kollaps. Nichtvorliegen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs. Europarecht
Orientierungssatz
1. Zum Nichtvorliegen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs und fehlenden Anspruchs auf Leistungen nach dem OEG iVm dem BVG wegen der Folgen einer im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens vorgenommenen rechtmäßigen polizeilichen Durchsuchung der Wohnung einer Beschuldigten, in deren Verlauf diese ohne körperliche Einwirkung durch Polizeikräfte bzw deren Hilfskräfte erschreckt kollabierte.
2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Europäischen Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 24.11.1983 (juris: EuOEÜbk) sowie der Richtlinie 2004/80/EG des Rates zur Entschädigung der Opfer von Straftaten vom 29.4.2004 (juris: EGRL 80/2004).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 15.10.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gestritten wird um Leistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG wegen der Folgen eines Polizeieinsatzes in der Wohnung der Klägerin.
Am 16.11.2015 kam es im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen die Klägerin zu einer Hausdurchsuchung in ihrer Wohnung, in deren Verlauf die Klägerin kollabierte. Eine körperliche Einwirkung durch Polizeibeamte bzw. deren Hilfskräfte auf die Klägerin fand auch nach Angaben der Klägerin nicht statt. Eine Beschwerde der Klägerin gegen den die Durchsuchung anordnenden Beschluss des AG Q wurde vom LG Q mit Beschluss vom 30.12.2015 als unbegründet verworfen. Das der Hausdurchsuchung zugrunde liegende Ermittlungsverfahren wurde am 09.03.2016 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Das AG Q stellte daraufhin mit Beschluss vom 14.04.2016 fest, dass der Klägerin wegen der Hausdurchsuchung dem Grunde nach Entschädigung zustehe. Die Generalstaatsanwältin in I gewährte der Klägerin deswegen am 19.09.2016 eine Entschädigung nach dem StrEG für ihr entstandene Anwaltskosten in Höhe von 441,41 EUR. Eine Klage der Klägerin gegen das Land NRW auf Schmerzensgeld war in erster Instanz (Urteil des LG E vom 05.09.2017 - 25 O 00/17) und zweiter Instanz (Urteil des OLG I vom 09.01.2019 - I-11 U 00/17) erfolglos.
In einem sozialgerichtlichen Klageverfahren (S 10 SB 1338/16) wurde die beklagte Behörde mit Urteil vom 10.09.2018 zur Feststellung eines GdB von 30 verurteilt, der maßgeblich durch eine psychische Erkrankung der Klägerin begründet war.
Am 15.05.2017 beantragte die Klägerin erstmals telefonisch und dann am 09.08.2018 schriftlich Leistungen nach dem OEG wegen der Folgen der Hausdurchsuchung am 16.11.2015. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24.09.2015 ab, da kein vorsätzlich, rechtswidriger Angriff vorliege. Die Klägerin legte am 24.10.2018 Widerspruch ein. Der Beklagte zog diverse Unterlagen bei, insbesondere aus dem Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin, aus den Klageverfahren der Klägerin gegen das Land NRW sowie aus dem Klageverfahren wegen des GdB. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2019 zurück. Weder sei die Hausdurchsuchung rechtswidrig gewesen, noch stelle sie eine Gewalttat im Sinne des OEG dar. Nach dem Urteil des BSG vom 16.12.2014 (B 9 V 1/13 R) setze eine solche Gewalttat eine unmittelbare körperliche Einwirkung auf das Opfer voraus, die hier nicht vorliege.
Am 12.07.2019 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Detmold erhoben und Schadensersatz sowie Schmerzensgeld nach dem OEG i.V.m. dem BVG begehrt. Trotz Hinweises des Sozialgerichts, dass diese Leistungen im OEG i.V.m. dem BVG nicht vorgesehen seien, hat sie an diesem Antrag festgehalten und auf §§ 81 ff. BVG verwiesen. Sie hat ergänzend vorgetragen, dass die Begrenzung des Tatbestandes des § 1 OEG auf körperliche Einwirkungen, wie sie vom BSG vorgenommen werde, nicht europarechtskonform sei. Sie stehe im Widerspruch zum Europäischen Übereinkommen vom "24.11.1993" über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten und zur Richtlinie 2004/80/EG des Rates vom 29.04.2004 zur Entschädigung der Opfer von Straftaten.
Das Sozialgericht hat die Klage nach vorheriger Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Gerichtsbescheid vom 15.10.2019 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit Schadensersatz und Schmerzensgeld begehrt würden, da diese Leistungsformen im OEG i.V.m. dem BVG nicht vorgesehen seien. Das Klagebegehren könne aber dahingehend ausgelegt werden, dass auch die grundsätzlich mögliche Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Heilbehandlung begehrt würden. Insofern fehle es aber einer rechtswidrigen Gewalttat. Die Hausdurchsuchung sei rechtmäßig gewesen. Dies ergebe sich sowohl aus der Entscheidung des LG Q über die Beschwerde gegen den die Ha...