Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung der vom Grundsicherungsträger zu übernehmenden Kosten für die Unterkunft und Heizung bei nicht erforderlichem Umzug des Leistungsberechtigten
Orientierungssatz
1. Nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB 2 werden nur die bisherigen Bedarfe i. S. von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB 2 anerkannt, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen.
2. Bei der Anwendung von § 22 Abs. 1 S. 2 SGB 2 sind die Gesamtmieten der alten und der neuen Wohnung zu vergleichen, wenn der Umzug nicht erforderlich war. Wenn eine zutreffend ermittelte abstrakte kommunale Angemessenheitsgrenze für die Unterkunftskosten bzw. die Heizaufwendungen nicht besteht, scheidet eine Leistungsdeckelung nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB 2 aus.
3. Solange der örtlich zuständige Grundsicherungsträger keine differenzierte Datenermittlung für den konkreten Vergleichsraum durchgeführt hat, die zuverlässige Schlüsse auf einen Wert für grundsicherungsrechtlich angemessene Heizkosten ermöglichen, ist die Heranziehung eines Grenzwertes geboten. Maßgeblich ist insoweit der jeweils geltende Bundesweite Heizspiegel.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 08.08.2017 geändert. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 21.10.2015, 29.11.2015 und 16.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2016 verurteilt, den Klägern Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.11.2015 bis zum 31.03.2016 in Höhe von 444,77 Euro monatlich und für die Zeit vom 01.04.2016 bis zum 31.10.2016 in Höhe von 450,66 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 31.10.2016 streitig.
Der Kläger zu 1), geboren 00.00.1968, und die Klägerin zu 2), geboren 00.00.1970, sind verheiratet. Sie wohnten zusammen mit ihren beiden Kindern, der am 00.00.1993 geborenen Tochter M und dem am 00.00.2000 geborenen Kläger zu 3) in der Wohnung L-straße 00, I. Die Grundmiete betrug 345,00 EUR, die Betriebskostenvorauszahlung 80,00 EUR sowie die Heizkostenvorauszahlung 75,00 EUR monatlich. Die Kosten der Unterkunft und Heizung beliefen sich insgesamt auf 500,00 EUR. Die Tochter M absolvierte in den Jahren 2015/16 ein nach dem BAföG förderbares Studium.
Am 16.08.2012 legten die Kläger zu 1) und zu 2) dem Beklagten einen am 14.08.2012 unterschriebenen Mietvertrag für eine 76,88 qm große Wohnung S-straße 00, I vor und gaben an, infolge der Streitigkeiten mit Nachbarn sowie von Mängeln sei ein Verbleiben in der alten Wohnung nicht möglich. Der Beklagte erteilte keine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II.
Zum 01.11.2015 zogen die drei Kläger und die Tochter M in die Wohnung S-straße 00 um. Die Grundmiete betrug nun 383,63 EUR, die Betriebskostenvorauszahlung 129,40 EUR und Heizkostenvorauszahlung 80,00 EUR. Die Bruttowarmmiete erhöhte sich ab dem 01.04.2016 auf 600,87 EUR (Grundmiete 383,63 EUR + Betriebskostenvorauszahlung 137,24 EUR + Heizkostenvorauszahlung 80,00 EUR). Die Warmwasserbereitung erfolgt dezentral.
Mit Bescheid vom 21.10.2015 bewilligte der Beklagte den Klägern u.a. Leistungen für Unterkunft und Heizung i.H.v. insgesamt 300,00 EUR (3/5 von 500,00 EUR) monatlich für die Zeit vom 01.11.2015 bis zum 30.10.2016.
Gegen die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung legten die Kläger Widerspruch ein und machten geltend, die Kosten der neu angemieteten Wohnung lägen innerhalb der Angemessenheitsgrenze. Weiter habe es einen wichtigen Grund für den Umzug gegeben, insbesondere sei es zur Auseinandersetzung mit Nachbarn gekommen. Die Mängel der Wohnung seien dem Vermieter mitgeteilt worden, ohne dass eine Abhilfe erfolgt sei. Der Beklagte verfüge über kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitskriterien, sodass auch der Rückgriff auf die Tabelle zu § 12 WoGG nicht möglich sei und die tatsächlichen Kosten der neuen Wohnung zu übernehmen seien. Die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung blieb im Änderungsbescheid vom 29.11.2015 unverändert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2016 gewährte der Beklagte den Klägern weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung i.H.v. insgesamt 75,00 EUR und wies im Übrigen den Widerspruch als unbegründet zurück. Zwar seien die Kosten für Unterkunft und Heizung der neuen Wohnung i.H.v. insgesamt 593,03 EUR angemessen. Jedoch seien die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II - auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesozialgerichts vom 29.04.2015 - B 14 AS 6/14 R - auf die Kosten der vormaligen Wohnung i.H.v. 500,00 EUR zu deckeln. Denn die neue Wohnung sei ohne Zustimmung angemietet worden; ein wichtiger Grund für den Umzug bestehe nicht. Ein Rückgriff auf die Werte des WoGG als ...