Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Auskunftsverlangen gegenüber einem potenziell Unterhaltspflichtigen. Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen der Leistungsberechtigen gegenüber ihren Kindern nur bei Überschreitung der Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro. Begrenzung des Auskunftsverlangens auf Fragen zu den Einkommensverhältnissen. bei fehlerhaftem Auskunftsverlangen Rechtswidrigkeit des gesamten Auskunftsverwaltungsakts
Orientierungssatz
1. Ein Auskunftsverlangen nach § 117 Abs 1 S 1 SGB 12 iVm § 94 Abs 1a SGB 12 ist auf Fragen zu den Einkommensverhältnissen des potenziell Unterhaltspflichtigen zu begrenzen.
2. Ein fehlerhaftes Auskunftsverlangen bewirkt die Rechtswidrigkeit des gesamten Auskunftsverwaltungsakts.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.03.2022 geändert und der Bescheid der Beklagten vom 16.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2021 aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Der endgültige Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Auskunftsanspruchs nach § 117 Abs. 1 S. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) für die Zeit ab Januar 2020.
Der Vater des Klägers, Herr O. D. (geb. am 00.00.1959, im Folgenden: Hilfeempfänger), ist seit dem 23.10.2013 von seiner Ehefrau, Frau T. X. (geb. am 00.00.1960) geschieden, mit der er zwei leibliche Kinder hat: neben dem am 00.00.1985 geborenen Kläger noch einen weiteren Sohn namens Z. D.. Der Hilfeempfänger lebt seit dem 06.06.2014 in dem Seniorenzentrum "U." in J. Bei ihm ist ein Pflegegrad 3 festgestellt. Er erhält Pflegewohngeld. Am 06.11.2018 beantragte der Hilfeempfänger durch seinen Bruder als gesetzlichen Betreuer die Übernahme der ungedeckten Heimpflegekosten. In dem Sozialhilfefragebogen trug der Betreuer unter der Rubrik "Unterhaltspflichtige außerhalb des Haushalts" die geschiedene Ehefrau und die beiden Söhne des Hilfeempfängers ein.
Die Beklagte erklärte sich durch Bescheid vom 15.10.2019 bereit, ab dem 01.12.2018 die ungedeckten Heimpflegekosten (102,89 Euro ab dem 01.12.2018, 110,07 Euro ab dem 01.01.2019) zu übernehmen und einen angemessenen Barbetrag (112,32 Euro ab dem 01.12.2018, 114,48 Euro ab dem 01.01.2019) zu zahlen. Mit weiterem Bescheid vom 31.01.2020 wurde der Barbetrag ab dem 01.01.2020 auf 116,64 Euro erhöht und für die Zeit ab dem 01.01.2020 zusätzlich eine monatliche Bekleidungsbeihilfe von 21,33 Euro bewilligt. Ferner hat sich die Beklagte gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung des Hilfeempfängers, der DAK, bereit erklärt, die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab dem 01.12.2018 zu übernehmen (Schreiben vom 31.01.2020). Der Hilfeempfänger befindet sich nach wie vor im Leistungsbezug durch die Beklagte.
Im Oktober 2019 zeigte die Beklagte gegenüber Frau X. und Herrn Z. D. die Überleitung der Ansprüche an und bat um Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Frau X. verwies auf einen Ehevertrag mit dem Hilfeempfänger vom 14.11.2003, in dem unter anderem ein wechselseitiger Unterhaltsverzicht vereinbart wurde. Belastbare Gründe dafür, dass diese Klausel sittenwidrig und damit nichtig sein könnte, hat die Beklagte nach eigenen Angaben nicht ermitteln können. Ein Unterhaltsanspruch gegen den Bruder des Klägers, der zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung Student war, war ebenfalls nicht erfolgreich.
Mit Bescheid vom 30.10.2019 forderte die Beklagte den Kläger zur Prüfung einer etwaigen Unterhaltspflicht dazu auf, Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen. Die Zustellung dieses Bescheides an die aktuelle Anschrift des Klägers, unter welcher er seit dem 01.09.2015 gemeldet ist, scheiterte daran, dass er unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war. Auch ein erneuter Zustellungsversuch mit inhaltsgleichem Bescheid vom 27.11.2019 scheiterte aus denselben Gründen. Auf Anfrage der Beklagten teilte die Verwaltung der Stadt A. mit Schreiben vom 14.01.2020 mit, dass der Kläger an der gemeldeten Adresse wohnhaft sei, eine Klingel und ein Briefkasten auf seinen Namen aber nicht vorhanden seien. Bei erneutem Aufsuchen der Adresse am 13.01.2020 seien Klingel und Briefkasten schließlich vorhanden gewesen.
Ein erneuter Zustellungsversuch mit inhaltsgleichem Bescheid vom 16.01.2020 erfolgte sodann erfolgreich am 21.01.2020. In diesem Bescheid wies die Beklagte, wie schon in den vorangegangenen Bescheiden vom 30.10.2019 und 27.11.2019, darauf hin, dass sie derzeit rund 1.700 Euro monatlich an ungedeckten Heimkosten für den Hilfeempfänger übernehme. Ein etwaiger Unterhaltsanspruch des Hilfeempfängers gegenüber dem Kläger sei gemäß § 94 Abs. 1 SGB XII bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch kraft Gesetzes auf die Beklagte als Trägerin der Sozialhilfe übergegan...